Samstag, 9. August 2014
Ferienprogramm
Timmy hat Kindergartenferien und als
Unterhaltungsprogramm habe ich mir einen ganz besonderen Leckerbissen
ausgedacht: Er darf mit mir zum Zahnarzt und zur Physiotherapie! Also
eine Restaurierungsmaßnahme am (halbwegs) lebenden Objekt ist für
jemanden, der sich für fossile Lebensformen interessiert, doch toll,
oder? .... Bei sechs Wochen Sommerferien liegt das Leben sowieso
komplett brach, zwei Kinder konnte ich verräumen, nur Timmy habe ich noch
am Hals, also warum nicht? Timmy kennt die Zahnarzt-Location, daneben
gibt es leckeres Himbeereis. Er ist Feuer und Flamme. Ich bin
optimistisch. Man packt einen Riesensack Proviant, Spielsachen, Bücher,
und los geht’s. Also los geht`s in dem Sinne, dass wir in den nächsten
Supermarkt gehen und das kiloschwere Proviant um noch weitere
lebenswichtige Überlebensrationen erweitern. In der Arztpraxis erst mal
große Pinkelpause, Praxis inspizieren, mit der Sprechstundenhilfe
flirten und ihr ihren coolen Leuchtstift abschwatzen. Zum Dank erhält
sie von Timmy eine abgegriffelte, aber noch nicht abgeleckte
Salmiakpastille. Timmy bereitet sorgfältig ein großes Picknick im
Behandlungszimmer vor, isst mit großem Appetit Salami mit
Salmiakpastillen und malt (leider sehr schnell) ein Auto. Jetzt möchte
Timmy auch so einen blauen Plastikbecher, wie er zum Ausspülen
bereitsteht. Bitte auch noch Wasser reintun. Alles Roger, letzte sehr
ernste Ermahnungen, der Doc kommt und waltet seines Amtes. Das Geräusch
dieses Bohrers ist aber auch zu schön, vor allem wenn kein Kindergeheul
dazwischenfunkt. Herrlich! Ich stelle mir vor, ich liege am Strand.
Dort, wo ich die nächsten Jahre garantiert nicht hinkomme. Gleich
schlafe ich ein…. Dann sehe ich plötzlich Timmys Nase über meinem Mund,
wo eigentlich der Zahnarzt hingehört. Was ist das??? Der Doc bittet den
„sehr interessierten jungen Mann, der später bestimmt mal Zahnarzt
wird“, wieder übernehmen zu dürfen. Tapptapptapp. Sich entfernende
Schritte des sehr interessierten jungen Mannes. Sprechen kann ich ja
nicht, ich höre nur, wie der Doc nun zu seiner Assistentin sagt: „Wo ist
er jetzt eigentlich?“ „Im Wartezimmer!“ „Echt? Wie kannst Du das von
hier aus überhaupt erkennen?“ Sehr beruhigend! Wird Timmy jetzt erst mal
die City erkunden? Dann merke ich, dass Timmy wieder da ist. Er befindet
sich zu meinen Füßen und versucht, seine Hände so weit wie möglich in
meine Hosenbeine zu schieben (Merke: Das nächste Mal keine Boot-Cut-Form
mehr nehmen! Tight fit superextraslim!). Leichtes Hoppeln lässt den
Stuhl vibrieren. Ich hoffe mal, dass die Massenträgheit meines
Körperfetts dies abfedert. Hoppelhoppel. HOPPELHOPPEL! Ich bin froh, als
es endlich geschafft ist. Jetzt muss ich nur noch mit Timmy zu dem
Eisstand gehen, den er so liebt. Leider ist in dem Eisstand überhaupt
kein Eis. Was ist da los? Ein grauhaariger Knilch bellt auf meine Frage:
„Noch nicht offen! Ist ja kein Eis da, oder?“ „Ja….ich geh ja schon…“
(Merke: Das nächste Mal Zahnarzttermin mit den Öffnungszeiten des
Eisstands koordinieren!). Timmy, willst Du was anderes? Ok, entweder ein
Kilo Pralinen (4,80 Euro zu 100 g) oder ein Eis. Vielleicht versuchen
wir doch einen anderen Eisstand zu finden. Überraschenderweise in der
Touri-überlaufenen City ein echtes Problem. Ich frage einen
Lederhosenmann, der in einem Restaurant draußen bedient. Nee, keine
Ahnung. Die Eisdiele, nach der ich die ganze Zeit suche, hat zugemacht,
erfahre ich immerhin auf dem Wege. Wir geraten auch noch in einen
Trachten-Umzug, den Timmy total scheiße findet. Er ist so bedient, dass
er jetzt auch keine Belohnung mehr, sondern SOFORT heim will. In der
U-Bahn werden wir von einer rüstigen Rentnerin angefallen, weil Timmy
sich an der Halteestange dreht. Sie meckert vor sich hin: „Diese Mütter
von heute sind doch das Letzte! Passen überhaupt nicht auf! Wenn der
jetzt eine Vollbremsung macht, ist der Junge tot!“ „Nein, ist er nicht.
Ich passe auf ihn auf, nicht Sie, ok?“ Sie fängt an wild
herumzuschreien. „Bitte…. Lassen Sie uns in Ruhe.“ Lässt sie natürlich
nicht, sondern steigert sich immer weiter rein, ich muss den Platz
wechseln. Ich lern’s ja auch nie – warum setzte ich mich nicht einfach
zu dem total zugedröhnten Stadtstreicher, dem der Sabber übers Kinn
läuft, sondern lasse mich auf das Risiko freilaufende Seniorin ein??? Timmy ist schwer deprimiert. „Die Frau war so böse!“ Seufz. „Das macht
nichts. Ich passe schon auf Dich auf!“ Himmelsakra. Reicht es nicht,
dass ich eine dicke Backe habe? … Bei den nächsten U-Bahn-Fahrten ist Timmy extrem vorsichtig und linst nach allen Seiten nach der „bösen Oma“.
Er ballt seine kleinen Spargeltarzan-Fäuste furchterregend gen Himmel:
„Wenn die böse Oma wieder kommt, haut der Super-Timmy ihr ein blaues und
ein rotes Auge!!!!“ Ich verzichte an dieser Stelle auf die 38475.
Wiederholung des Hinweises, dass Prügel keine Lösung sind (bin mir
manchmal selbst gar nicht so sicher) und schlage einen Kompromiss vor:
„Vielleicht ist sie ja schon tot!“ Timmy ist nicht überzeugt und macht
weitere Ninja-Posen, erkundigt sich aber trotzdem vorsichtig: „Kommt sie
vielleicht jetzt?“ „Nein. Ganz bestimmt nicht.“ Er setzt sich brav auf
die Bank. Sicher ist sicher! Jetzt sind wir auf unserem zweiten
Abenteuertrip: Physiotherapie! Ehrlich gesagt, war es sehr schwierig,
ihn dazu zu bewegen. „Wir fahren mit der U-Bahn??? Da brauche ich dann
als Belohnung leider ein Eis UND Bonbons!“ Timmy hat seit heute Früh
weitgehend in einer für alle unverständlichen Sprache gebrabbelt, bis zu
dem Zeitpunkt, an dem ich mich auf der Liege befinde – er verkündet
laut und deutlich: „Mama, Deine Füße sind ja ganz dreckig!!!“ Wie
peinlich ist das denn!? Die Physiotherapeutin kichert. Kurze Zeit später
kichere ich, weil sich jemand an meinen Fußsohlen zu schaffen macht.
Anscheinend hat Timmy ein Tuch geholt, mit dem Inhalt meiner
Wasserflasche befeuchtet und rubbelt daran herum. Dann bekommt er einen
schrecklichen Lachanfall, bis wir alle lachen müssen. Und jetzt musst Du
mir ein Eis kaufen! Aber klar. Das Eis, das er nach ca. 27 Minuten
Bedenkzeit ausgesucht hat, schmeckt ihm nicht. Ich muss also mein
eigenes und Timmys Eis essen (das ich der bösen Oma im Falle des Falles
auf den Kopf werfen könnte, falls sie doch noch auftaucht). Armer Timmy,
das nächste Mal musst Du nicht mehr mit zur Physiotherapie! Empörung!
Aufschrei! Protest! Ich will aber wieder mit zur Füßetherapie!!!!