Mittwoch, 25. März 2015

Willkommen im Kinderreich



Ich habe mir oft überlegt, ob man mit 3 Kindern wirklich kinderreich ist – so die in Deutschland gängige Definition. Es sind ja schließlich nicht so unüberschaubar viele, dass ich ihre Namen vergessen würde. Und als ich in Lateinamerika war und mich mit einer älteren Dame unterhielt, fragte ich sie nach der Zahl ihrer Kinder: „Ach, ich habe nur sieben!“ Leute, viele Eurer Großeltern hatten genauso viele Geschwister!
Aber dann habe ich mich doch dafür entschieden. Die Kriterien dafür sind: Ab 3 Kindern sind wir Erwachsenen schließlich in der Minderheit. Und ab jetzt wird man gefragt: „Sind das alle Ihre?“ Und jetzt ist auch der Zeitpunkt gekommen, dass man nicht mehr ununterbrochen um jedes Kinder einzeln herumhelikoptern kann. Nein, sorry, mein Sohn muss leider 500 m Schulweg alleine zurücklegen (in der Hoffnung, dass er von den Autos der Helikopter-Eltern nicht zusammengefahren wird), ja, ich fürchte, er muss sich im Alter von acht Jahren auch ganz alleine anziehen, nein sorry, ich kann nicht  JEDEN TAG mit dem Knüppel in der Hand seine Hausaufgaben überwachen, weil ich die anderen Kinder auch noch durchknüppeln muss, ich werde auch ganz bestimmt nicht am Spielplatz observieren, ob mein Sohn/meine Tochter genauso oft wie die anderen Kinder rutschen darf („Lasst jetzt endlich mal Klein-Thorben rutschen!“), ich fürchte, er muss das selber regeln …
Es gilt als entspannendes Freizeitevent, wenn man mit nur einem Kind zu einem einstündigen Arzttermin gehen darf. Die Steuererklärung ALLEIN zu machen – dafür reicht eine Stunde nicht -, firmiert unter dem Label Wellness-Wochenende. Nur, dass man kein Wochenende dafür Zeit hat. Wenn man einen unaufschiebbaren Termin hat, muss man nicht nur eine Person anbetteln, die auf die Kinder aufpassen soll, sondern die Gruppe splitten. Und letztendlich ist der Zeitpunkt gekommen, dass man die Kinder nicht mehr weginterpretieren und verräumen kann.
Typisch sind Gedanken wie: „Mist! Die Milch ist fast alle, es sind nur noch eineinhalb Liter da!“ „Wenn Felicitas mich um 5 Uhr weckt, könnte ich ja eigentlich schnell die erste Waschmaschine des Tages anwerfen.“ „Wann sind die Sommerferien 2016?“ „Kann es wirklich sein, dass der Besuch eines ganz normalen Landei-Schwimmbads uns 20 Euro kostet (und das, weil Felicitas noch nichts bezahlen muss)?“  „Heute konnte ich bis 7.30 ausschlafen!“
Natürlich, wir werden zum einen (ein bisschen) schlauer, zum anderen bescheidener – vor allem, was unsere Einflussmöglichkeiten betrifft. Und natürlich auch abgebrühter. Aber mit einem einzigen Kind: Man ist so herrlich schnell unterwegs, flotti Karotti geht es los, man kann telefonieren, ohne dass hinter einem ein Haferschleimwerf-Contest ausgetragen wird. Ich weiß, man denkt GANZ anders, solange man nur ein einziges Kind hat. Eventuell ein Kind, das die ganze Zeit brüllt. Sehr lange Zeit brüllt. Vorzugsweise nachts. War ich mit drei Kindern eigentlich jemals so gestresst wie mit einem? Oder habe ich mich einfach nur daran gewöhnt? Nun gut, bei Kind drei hat mich eigentlich auch keiner mehr gefragt, ob ich nachts schlafe (Antwort: nein).
Andererseits: Mit einem Kind hat man natürlich keine Vergleichsmöglichkeiten. Vergleichsmöglichkeiten sind immer was Schönes. Für Kinder: Warum bekommt XY mehr als ich? Warum darf XY dies und das und ich nicht? Ich verdresche jetzt XY!!!!
Nun Vorteile des Vergleichens für Eltern. Problemstellung: Kind lügt wie gedruckt. Bei einem Kind überlegt Mama: Oh Mann, was habe ich bloß falsch gemacht? Nicht konsequent genug? Verdeckte Probleme im Elternhaus? Kinder-Psychologen einschalten? Google? Ergotherapie? Klangschalen? - Drei Kinder: Baron Münchhausen erzählt detailreich und überaus plausibel ausgesponnene Geschichte, an der sämtliche Parameter -  außer der Wahrheit - stimmen. Interessant – ist das nicht ein Zeichen für Kreativität? Ich glaube ja! Ich frag einfach ein anderes Kind, das die Wahrheit mit nicht ganz so vielen Details ausschmückt. Ja, ich gestehe, auch bei uns Erwachsenen wird das Phänomen „Wahrheit“ nicht mehr so überbewertet. Nehmen wir den Fall: Felicitas will ihr filigranes rosa Faschings-Prinzessinnengewand anziehen. Ich habe keinen Bock, es zu suchen und fürchte auch, es könne auf dem Spielplatz Schaden nehmen. Ich könnte jetzt sagen: „Liebe Felicitas, das Prinzessinnengewand geht kaputt, wenn Du draußen tobst. Es kann zerreißen oder Du bleibst damit irgendwo hängen.“ – Reaktion logischerweise: „HEUL!!!! PRINZESSIN! HEUL!!!“ (30 Minuten nervenzerfetzendes Drama einplanen + weitere 3 Stunden, wenn das Ding im Eimer ist). Liebevoll lächelnd erkläre ich stattdessen: „Das ist nicht da, das hat Papa heute in die Arbeit angezogen.“ – „Papa?“ , fragt Felicitas erstaunt. – „Ja“, bestätige ich bestimmt (Papa weiß zum Glück nicht, was ich über ihn erzähle). „Ok“, sagt Felicitas und wendet sich anderen Dingen zu.
Oder: Kind will mit dreckigem Pulli in den Kindergarten. Ein Kind: Liebevolles Erläutern – keine Einsicht - Grundsatzdiskussion – keine Einsicht – wilden Mann spielen - Eklat! Heul! Bodenschmeiß! Tag im Eimer! Drei Kinder: Mama überlegt: Der Pulli ist doch total sauber bis auf die drei Flecken! Bzw. wenn mehr Fleck als Pulli vorhanden ist: "Ich wollte Dir nur sagen, dass da Kaka an deinem Pulli ist, aber ist Deine Entscheidung… " Geschwister kommen sensationslüstern angerannt: "Was? XY hat KAKA AM PULLI??? Zeig her! Gröl! " "XY: Heul! Ich will einen anderen Pulli!" :-)
Werde auch gern drauf angesprochen, dass mein Sohn Nr. 2 praktisch bei jedem Wetter ohne Jacke auftritt, bzw. sich bei eisigem Wind ein drei Nummern zu kleines und leicht zerfetztes Baumwolljäckchen – nein, er geht nicht so weit, dass er es anziehen würde, aber er legt immerhin die Kapuze über seinen Kopf. (Wetterfrosch Timmy sagt uns Normalos damit, dass wir uns dringend mit Jacke, Mütze, Handschuhen und Schal ausrüsten sollten! Kälte-Notstand!). Kann nichts machen, er war seit Jahren nicht mehr krank – welches Argument habe ich noch? (Übrigens, liebe besorgte LeserInnnen: Ich habe den Kinderarzt zu diesem Phänomen befragt. Er sagte tatsächlich, man solle die Kinder nicht zu warm anziehen, sondern lieber warten, bis sie selbst eine Jacke verlangen, sonst schwitzen sie und werden krank – na, vielleicht will Timmy ja eines Tages eine Jacke haben, wer weiß?) Felicitas wollte ihm nacheifern und trat mit Sandalen in den Schnee. Felicitas, es schneit, Felicitas, es ist kalt. Felicitas: Sandalen! Ich lass sie mal machen. Immerhin haben wir schon fünf Mal Umziehen hinter uns. Kurze Zeit darauf: Kreisch! Meine Füße sind nass! Mama holt ein Paar Stiefel aus dem Rucksack. Juhu!
Ja, es gibt es natürlich Dinge, die sich mit drei Kindern leicht verkomplizieren. Kurzum: Flexibilität und Spontaneität, die Grundtugenden des modernen Lebens. Eine liebe Freundin hat mich unlängst in Angst und Schrecken versetzt, sie wolle MIT UNS einen spontanen Radausflug in die Nähe unternehmen. Räder??? RÄDER??? JETZT??? Du meinst drei Räder (plus Kindersitz), die ohne Luft im Keller stehen, die mit den drei Fahrradschlössern? Aufpumpen: Ich kriege das mit den komischen Reifen nicht allein hin, ich muss meinen Mann aktivieren, also nachdem ich ihn für die anderen 345 Reparaturen – größtenteils an von meinen Söhnen ramponierten Objekten - aktiviert habe. (Und wenn er erst mal rausgekriegt hat, was die alles kaputtgemacht haben, können sie ihren Radausflug sowieso vergessen!) Herzrasen: Habe ich nicht außerdem unlängst den Schlüsselanhänger-Teddy irgendwo abgerissen herumliegen sehen, bzw. der ist jetzt auch weg? Aber hätten da nicht Schlüssel für zwei der drei Fahrräder dranhängen sollen? DOCH!!!! WO SIND DIE? Helme alle gleichzeitig finden? Wo ist mein Helm? Ich muss mir doch auch noch einen neuen Helm für meine Matschbirne kaufen (TO-DO-Liste Item Nr. 1023!). … Habe meine Freundin erst mal zu mir eingeladen und ihr Rum gegeben.

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