Dienstag, 11. März 2014

Heile Welt



Wohl aus Sehnsucht nach heiler Welt oder schierer Schönfärberei lasse ich hin und wieder Fotos von den Kindern machen, auf denen sie wie nette kleine Geschöpfe aussehen und nicht so, wie sie wirklich sind oder wie sie auf den Fotos, die mein Mann schießt, erscheinen: einäugige Zyklopen mit abgesägten Füßen und verzerrten Fratzen, die vor irgendwelchen Stillleben aus umgekipptem Müsli, herumliegenden Klamotten und defekten Spielsachen herumturnen. In Timmys Kindergarten hat sich der Fotograph angekündigt, bei dem man auch Fotos von und mit den Geschwistern machen lassen kann. Der organisatorische Aufwand ist für unsere Verhältnisse gering: Nur die Jungs vorher zum Friseur bringen, Mario an dem Termin früher aus dem Hort kommen lassen, nette Klamotten raussuchen, fertich. Leider leidet mein sonst so goldiges Mädchen Felicitas unter einem Erkältungs-Magen-Darm-Infekt und sieht, bedingt durch die Tränen- und-Rotz-Fontänen, die über ihr rot verquollenes Gesicht rauschen, eigentlich überhaupt nicht nett aus. Aber mit etwas Nasentropfen und Fieberzäpfchen sollte das doch hinzubekommen sein (Das glaube ich ja wohl selbst nicht!). Naja, da sie eh schon heult, kann ich sie auch gleich anziehen. Zum Glück muss ich mich selber nicht auch noch in Schale werfen, denke ich mit Blick auf die Rotzbahnen, die Felicitas über meine Bluse zieht. Ich sollte echt mal dazu übergehen, mich nicht immer wie eine Stadtstreicherin zu stylen, aber von mir wird ja kein Foto gemacht. 
Auch der Blick auf ihren geliebten großen Bruder „Majio“ senkt die Lautstärke von Felicitas' Geschrei nicht, aber wenn ich sie den ganzen Weg trage, wird es immerhin etwas leiser. Nun ja, der Fotograf wartet schon, schnell noch Timmy holen und es geht los. Mario und Timmy reihen sich lachend auf, aber Felicitas will von ihren Brüdern nichts wissen und klammert sich heulend mit eisernem Griff an mich. „Tja, da hilft wohl nichts“, sagt der Fotograf, „da muss die Mama auch mit aufs Bild.“ Spinnt der? „Also äh, darauf bin ich jetzt überhaupt nicht vorbereitet!“ „Das macht doch nichts, die Mamis sehen doch immer schön aus!“ – Also, ich nicht, da hilft auch kein Rumschleimen. Kann man mich da vielleicht irgendwie rausretuschieren oder so??? Seufzend setze ich mich auf den Stuhl, versuche so viel wie möglich von mir durch Kinder zu bedecken und sage „Spaghetti.“ Auch Felicitas sagt „Spaghetti.“ 
AHA! Die Laune hat sich wohl gebessert. Da ich unbedingt ein Foto der drei Kindern OHNE MICH haben will, versuche ich jetzt Tricks. Zuerst lasse ich sie 1-Cent-Münzen apportieren und zu Mario bringen. Das macht sie auch, dreht sich aber in Windeseile weg, so dass man sie auf keinen Fall fotografieren kann. Dann gebe ich ihr Gummibärchen, mit denen sie sich die Backen vollstopft, so dass sie wie ein Hamster mit Mumps ausschaut. Mist!!! Ich pule ihr das Teil wieder aus dem Mund und stecke das schleimige Ding in meine Hosentasche. KREISCH! Gut, ich hole es wieder raus. Timmy will das jetzt auch und als ich ihm keines gebe (auf so ein Hamsterbackenbild kann ich auch gleich verzichten), läuft er einfach in den Nebenraum davon.  Felicitas ist nun leicht aufgeputscht und läuft kreischend  im Zimmer in großen Kreisen herum, wobei sie es tunlichst vermeidet, in die Nähe des Fotohintergrundes zu gelangen. Timmy kugelt auf dem Boden herum. Nun ist nur noch Mario da: „Mir ist langweilig! Ich will Kekse.“ Am liebsten würde ich sie jetzt alle zur Adoption freigeben. Kann man nicht wenigstens einmal ein normales Foto machen lassen????
Der Fotograf schlägt gottergeben vor, das Foto auf der Turnbank machen zu lassen, da sich mittlerweile immerhin ein Kind auf dieser befindet. Ok, alle auf die Turnbank. Leider hat Timmy jetzt einen riesengroßen roten Kegel gefunden, den er sich auf den Kopf gesetzt hat. Foto mit Riesenkegel auf dem Kopf. Das wollte ich ja schon immer, gell. Knipsknips. „Da ist bestimmt was Schönes dabei!“, sagt er lächelnd. „Ja bestimmt“, antworte ich matt. Neidisch blicke ich auf nächste Geschwisterpaar, ein Brüderchen und Schwesterchen, die sich artig kichernd vor die Leinwand stellen.