Montag, 11. Januar 2016

Das deutsche Schulsystem: Mami, mach mal!

Also, bei uns ist das ja so: Zwei eifrige, vor Lerneifer überschäumende Buben erledigen im Wettstreit die Hausaufgaben – wer sie wohl heute am besten macht? Und dann fragen sie sich gegenseitig ab. Gelernt wird bis in die frühen Abendstunden, selbstverständlich ohne Murren! Auch das geliebte Lesen im Bett wird noch für informative Texte genutzt!

Haha. Naja, man wird ja noch mal träumen dürfen. Also: Man kommt nach Hause und die Schulsachen werden gemeinsam mit Jacke, Mütze etc. auf einen dekorativen Haufen in den Flur gepfeffert. Dann falle ich drüber und meckere/nörgle/schimpfe, was das Zeug hält. Aber das Gehör meine Söhne hat den Defekt/die Gabe, dass die Nörgelfrequenz ebenso wie Lehrerinnenbeschallung praktisch mühelos herausgefiltert wird und auf Interessantes umgelenkt. Idealerweise mit einem möglichst großen Bildschirm. Leider hat die böse MACHT Mama da den Daumen drauf. Aber es gibt ja auch noch andere schöne Dinge im Leben. Zum Beispiel: Wir schmeißen uns mit Schmackes auf den Bruder und prügeln uns, dass die Schwarte kracht! Oder wir gehen beleidigt in ein Zimmer und sperren uns ein – Nörgelfrequenz: „Lass da bitte, Du kommst dann nicht mehr raus“ erfolgreich ausgeblendet.

Kurze Zeit darauf eilt Sohn 1 herbei: „Mama, Timmy hat sich eingesperrt und kommt da nicht mehr raus.“ Welch eine Überraschung! Und: Das Zeit-Management ist perfekt! Ich stehe nämlich am Herd, vier von vier Platten im Einsatz. Es macht mir jetzt nicht SO VIEL aus, dass ein Unruhestifter im Verließ ist, aber ich muss ihn da rauslotsen, bevor er ernsthaft die Panik bekommt, sonst haben wir ein PROBLEM.

Also kommt es, wie es kommen muss: Ich rase hin und her, rühre schnell um, linse durchs Schlüsselloch, „Du musst den Schlüsssel richtig hineinstecken!!!“, schnell zurück und herunterschalten, bevor das überkocht, was auch immer es ist, „Bitte GANZ rein! Und dann umdrehen!“ Ich müsste noch mal kurz überlegen, in welche Richtung, aber Felicitas schreit: „MAAAMAAA! KAKA!“ Ok, kurze Schleife zum Hinternabwischen, der Gefängnisinsasse ist noch ruhig. Was machen meine kulinarischen Highlights? Ich rechne noch mal nach, wer wie viele Fischstäbchen wollte. Zum Glück ist mein Mann jetzt da, er coacht unser Käfigkind, bis es selbstständig herauskommt. Warum ich deswegen nicht durchdrehe: Ist schon unter weit widrigeren Umständen passiert (Highlight einmal im Urlaub: Befreiung nur möglich mit Hilfe eines sehr dünnen und gelenkigen Helfers, der durch eine Luke oben im WC krabbeln konnte). Irgendwie haben wir bisher alle ohne Einsatz der Feuerwehr rausgekriegt.

Ach ja… eigentlich wollen wir uns ja um die Hausaufgaben kümmern. Der Älteste erklärt voll Stolz, dass er derzeit (angeblich) kontinuierlich Hausaufgaben erledige. Jackpot! Leider sind die Elaborate kurzzeitig verschwunden, so dass ich sie nicht wirklich zu Gesicht bekomme. Die suche ich nachher! Also, wenn ich das Käfigkind beruhigt und alle bewirtet habe, einschließlich komplett fassungslosen Gastkinds (Mädchen, 3 Fischstäbchen, Einzelkind, geringe Herumprügel-  und Gefängniserfahrung).

Na gut, EIGENTLICH können mir die Hausaufgaben ja wurscht sein, oder? Stichwort Eigenverantwortung. Eine gute Sache, würde man denken, nicht wahr? Eigenverantwortung lernen. Mann, das klingt ja sowas von prima! Kriegt er halt Ärger in der Schule. Wird er ja was draus lernen. Theoretisch richtig, aber:… Kurze Zeit nach dem Vergehen trudeln erste, aber ernste Benachrichtigungen an MAMA ein. Kind hat seine Hausaufgaben MEHRMALS nicht vollständig erledigt. Kind verhält sich ungebührlich. Kind hat sein Federmäppchen nicht ausreichend bestückt, MAMA soll sich darum kümmern. MAMA soll in die Sprechstunde kommen. MAMA, mach mal! Kümmere Dich endlich mal um Deine missratene, vernachlässigte Brut! Das hört MAMA natürlich überhaupt nicht gerne. Und schon ist MAMA Federmäppchen-Beauftragte, Nachhilfelehrerin, Sozialpädagogin, ferndiagnostische Schulberaterin etc. pp. Komisch nur, dass es hierzulande ja von missratener, vernachlässigter Brut nur so wimmelt.

Eine Mama hat mir nach drei Monaten Schule ein komplett vollgeschriebenes sog. Mitteilungsheft mit Lehrer-Prosa zum Fehlverhalten ihres Sohnes gezeigt. Und das ist ein ganz normaler Junge. Dachte ich. Aber das dachte ich von meinen Jungs ja auch! Und von Michael und von Ali und von Leon und von Jonas und von Max und von Gabriel und von … etc. pp. auch (Namen rein fiktiv)! Und jetzt kommt heraus, die sind alle schwer vernachlässigt/missraten/behandlungsbedürftig! Alle Mamas seufzen schwer. Und fügen sich in ihren Job als Federmäppchen-Beauftragte, Nachhilfelehrerin, Sozialpädagogin, ferndiagnostische Schulberaterin etc. pp.

Und was machen die Kinder, deren Mütter ihren Kindern nicht erklären können, was eine Auslautverhärtung ist? Weiß ich nicht. Müssen ohne Auslautverhärtung klarkommen.

Ein paar Schlagworte: Pisa-Schock, Bildungsreform, gleiche Chancen für alle etc. pp. Also, die üblichen Sonntagsreden. Bei uns gab’s nicht den Pisa-Schock, sondern den Pilz-Schock. Mein Gedächtnis, das in schulischen Belangen doch ein wenig lückenhaft geworden ist, gab anlässlich des Schulstoffs meines Sohnes, einen Blick auf einstmals Gelerntes frei: Ja, genau, diesen endlangweiligen Stoff hatte ich auch! Ihr wisst schon, damals in der STEINZEIT! Da gab’s auch schon Pilze! Mit einem Myzel. Dieses Wort habe ich seit dem bewussten Tag in der 3. Klasse NIE wieder benutzt, bis zu dem entscheidenden Moment, als ich beschloss, meinen Sohn mit Heimat- und Sachkunde zu foltern. Naja, ich hatte immerhin als Kind noch praktische Erfahrung im Pilzsammeln mit den Eltern und Großeltern (Letzere waren als Kriegsgeneration natürlich firm in Pilzkunde), seit Tschernobyl hat das Thema einfach einen gewissen Einschnitt erhalten, von dem es sich hierzulande nicht wirklich erholt hat. Ehrlich, ich werde auch keine Pilze sammeln, weil ich zwar weiß, was ein Myzel ist, aber… sonst!?

Also, alt wie ich bin, herrscht in mir à propos Reformfähigkeit mancher Systeme eine gewisse Abgeklärtheit. Ok, das dauert dann halt noch dreißig Jahre. Oder hundert. Wir bläuen uns jetzt diese Pilze einfach ein. So schlimm finde ich das auch nicht, auch wenn Lernen mit Spaß natürlich mehr bringt. Aber manchmal muss ein Cowboy auch einfach das tun, was getan werden muss. Aber irgendwie herrscht doch ein Unbehagen, wenn der Cowboy ständig auf Mamas Federmäppchenfolterdienst angewiesen ist. Das kann’s eigentlich nicht sein… oder? Hallo Lucky Luke! Wenn Du jetzt nicht SOFORT dein Federmäppchen aufräumst, DREHE ICH DURCH! VIELE GRÜßE! MAMA