Freitag, 12. Juni 2015

Der perfekte Tag



Sommer! Sonne! Herrlich... Wir sind bei meinen Eltern und werden jetzt gleich ins Freibad abdüsen. Dazu sind wir eigentlich gezwungen, denn bei unserem ersten Besuch hatte ich dort mein Handy verloren. Vermutlich als ich gerade hysterisch am Eingang herumtobte, als Timmy auf der anderen Seite des Schlagbaums mit meinem Geldbeutel und daraus entnommenen Scheinchen herumwedelte und sich weigerte diese wieder herauszugeben. Aber der Bademeister hatte mein prähistorisches Instrument zur fernmündlichen Mitteilung, das anscheinend niemand haben wollte, sichergestellt und so kamen wir bei unseren Ortungsversuchen auf die Fährte. Damit war das Tagesprogramm klar.
Dass mein ältester Sohn mittlerweile schwimmen kann, senkt die Panikskala um 33,3333 % -  und bei Panikskala 66,6666 % befindet sich die kinderreiche Familie im meditationsähnlichen Wellnessmodus. Wir stellen nur fest, dass ein schwarz-weiß gestreifter Badeanzug an einem sehr kleinen und sehr selbständigen Mädchen nicht die ideale Bekleidung ist (siehe Zebras, die ja einer Theorie zufolge ihre schönen Streifen zur Tarnung einsetzen – das hatte ich früher nicht ganz kapiert, aber jetzt schon! Aus 5 Meter Entfernung ist sie quasi unsichtbar! Ich empfehle ausdrücklich einfarbige NEON-Kleidung).

Timmy wünscht erst mal den Verzehr von großen Mengen Wassermelone. Damit ist das Programm für meinen Mann auch schon sichergestellt: zum Auto gehen und vergessenes Taschenmesser zum Schneiden der Melone holen (falls jemand einen Tipp hat zum Thema „wie zerteile ich mit Hilfe eines gefalteten Handtuchs und 30er  Sonnenmilch eine Melone in schöne Scheiben“ – nur raus damit!).

Mario wünscht gar nichts, sondern nur, drei Stunden unbehelligt an der Wasserrutsche zu verbringen. Also, das einzige Problem ist eigentlich ihn wieder rauszukriegen, als wir nach einigen Stunden das Bad wieder verlassen wollen. So, ich könnte jetzt, nachdem ich alle Melonenreste, Handtücher und Badeklamotten wieder eingepackt habe, jetzt weitere fröhliche Stunden schwitzend am Beckenrand verbringen und versuchen, meinen Sohn da wieder rauszulocken.  Aber Leute, man muss auch einfach seine Grenzen kennen. „Timmy, hol bitte Mario.“

Bademeister Timmy ortet Mario, wie ich aus der Ferne sehe, und kurze Zeit später klettert Mario aus dem Wasser und beide kommen einträchtig herbeigelaufen. WIE ZUR HÖLLE hat er das so schnell geschafft? Keine Ahnung. Es gibt einfach Dinge zwischen Himmel und Erde …

Nachher werden die Kinder von meinen Eltern zur Bespaßung zum Erdbeerpflücken abtransportiert (und sie pflücken auch wirklich große Mengen, falls Ihr das wissen wollt). Mein Mann kann mit dem Problem „Freizeit“ nicht umgehen und macht sich an handwerkliche Vervollkommnung des Hauses meiner Eltern. Hernach quengelt er, dass er jetzt in den Biergarten müsse. Wann ENDLICH die Kinder zurückkämen? (WIE BITTE? Also, ich habe Zeit…) Schon hängt er am Handy… kurze Zeit darauf erzittert der Seismograph…

Auf den Schreck schenke ich mir erst mal eine Apfelschorle ein und noch etwas Wasser drauf. Ist das heiß! Ich fasse dürstend nach dem Glas, da hat eine kleinere Hand sich schon darum geschlungen.

„Darf ich?“

„Aber klar. Das ist der Kinder-Bravheits-Trank. Trink nur!“

Mario setzt das Glas entsetzt wieder ab. „Der WAS?“

„Der Kinder-Bravheits-Trank. Da werden alle Kinder brav. Und zwar FÜR IMMER und UNWIDERRUFLICH. Trink, trink, wir wollen gleich los.“

Mario riecht daran. „Und da werde ich dann brav?“

„Ja.“

„Will ich nicht.“

„Na komm schon!“

Er riecht vorsichtig dran. „Ist das nicht Apfelschorle?“

„Probiere es aus, mein Sohn, probiere nur unbesorgt.“

Tatsächlich lässt sich mein Sohn erst nach langem Zureden dazu überreden, von dem schauerlichen Getränk zu probieren. Gewusst wie, was? War aber nur Spaß, ich will eigentlich los in den Biergarten. Um die Nerven der Großeltern zu schonen, werden wir die Kinder mitnehmen. Also, alle bis auf Timmy. Timmy will von „Biergarten“ nichts wissen, auch wenn es da Pommes und gesundheitsschädigende Süßgetränke gibt. Wir finden eigentlich, dass Oma und Opa genug mitgemacht haben und eine Pause verdient haben, aber jetzt ist es halt eine „Pause mit Kind“, da Timmy unbedingt zu Hause bleiben will. Vielleicht ist er müde oder auf Diät. Nun gut.

Vorfreude ist ja bekanntlich die schönste Freude. Bereits 30 Sekunden nach Aufbruch malen sich die beiden Restkinder aus, wie schön es sein wird, Timmy unter die Nase zu reiben, welche Köstlichkeiten sie OHNE ihn verzehrt haben und wie absolut mörderisch sie ihn anschließend damit triezen werden! Geschwisterliebe ist was Tolles. Vor allem so wandlungsfähig.

Also, los geht’s. Der Biergarten ist nach unser aller Geschmack. Es gibt herbe und süße Kaltgetränke und einen Riesenteller Pommes für alle. Perfekt! Alle stürzen sich darauf. Wunschgemäß verabsentieren sich die beiden Restkinder auf den Spielplatz und es herrscht Harmonie pur. Man muss praktisch nur das Zwischenkind herausnehmen und schon erhält man den optimalen Altersabstand von 5 Jahren, der jegliche Streitigkeiten (naja, fast) im Keim erstickt.

Mein ältester Sohn ist ja außerhalb der Familie durchaus am geregelten Leben interessiert, daher wünscht er Informationen, ob Papa nach Konsum eines Bieres noch fahrtüchtig sei. Oder soll Mama fahren?

„Ach Mario, ist doch egal, dann fährst halt Du.“ (Wir sind mitnichten betrunken, aber anscheinend durch die Vintage-Erfahrung „Biergarten“ ohne „Wir-sind-wieder-mal-im-Mittelpunkt-des-Geschehens-und-warten-auf-die-Supernanny“ etwas AUSGELASSEN).

Mario ist wider Erwarten entsetzt. „Ich? Ich weiß nicht, ob ich mit dem Lenkrad zurechtkomme.“

„Ach, das schaffst Du schon.“

Mario hat Zweifel und verzieht sich nachdenklich wieder mit Felicitas auf den Spielplatz. Als Felicitas wiederkommt und nach Strohhalmen verlangt, gehen beide Hand in Hand los und kommen mit dem gewünschten Utensil zurück. Süß, oder? Tja, als es dann Zeit ist zu gehen, hat sich Mario tatsächlich ein Herz gefasst und würde uns nach Hause chauffieren. Ich weise ihn vorsorglich darauf hin, dass seine Füße wohl nicht zu den Pedalen reichen, die aber nicht ganz unwichtig sind. „Dann setze ich mich auf Papas Schoß!“

Na, der Junge weiß sich zu helfen, oder? Aber wir ziehen es mal vor, dass eine Person mit gültigem Führerschein fährt.

Zuhause angekommen empfängt uns Timmy im Pyjama – tja, wir sind offensichtlich ein paar Minuten zu früh gekommen – und er fängt angesichts der grausamen Schilderung seiner Geschwister, die in epischer Breite von den genossenen Herrlichkeiten berichten (einschließlich Strohhalm), an bitterlich zu weinen. Wir fragen Timmy, warum er nicht mit wollte. Anscheinend war er der Meinung, im BIERgarten dazu gezwungen zu sein, BIER zu konsumieren. Ich sende ein paar Giftblicke an Mario und Felicitas, die aber an ihrem Pommes-und-Limo-sogar-mit-STROHHALM-Schutzschild kraftlos abprallen und verspreche den baldigen Besuch eines LIMOgartens. Wäre ganz schön, wenn alle Erntehelfer, Bademeister, Zebras und Hobby-Autofahrer jetzt freiwillig schlafen gehen würden, aber man kann halt nicht alles haben, oder?