Donnerstag, 3. November 2016

Herbstferien

Ich will einen Plan umsetzen, den ich schon sehr lange habe: Wir besuchen das Germanische Nationalmuseum im Nürnberg. Ich rufe eine Freundin mit zwei Kindern an, die überraschend erpicht darauf ist, uns zu begleiten. Ja gerne! Museumsbesuche klappen bei uns eigentlich immer gut, wenn man bedenkt, dass ansonsten das Projekt „Fünf Minuten ohne Geschwisterstreit“ für uns eine ernste, nicht zu überwindende Klippe darstellt. Das Mädel meiner Freundin ist die Älteste, dann kommt Mario, dann der Sohn meiner Freundin, äh, ja, Timmy mussten wir wegen exzessiven Verhaltens in letzter Zeit mal lieber zu Hause lassen, und dann Felicitas. Anfangs sind die Kinder ein wenig schüchtern, denn die lieben Kleinen hatten wir bei unseren letzten Begegnungen nicht mitgenommen, aber dann, als wir auf dem Weg zum Museum sind, sehe ich es schon: das gefährliche Funkeln in den Augen unserer beider Söhne. Da haben sich zwei gefunden, die sich am liebsten gemeinsam irgendwo im Dreck wälzen/damit beschmeißen oder irgendetwas Furchtbares anstellen würden, aber sicher nicht artig Museumsobjekte anschauen wollen. Ich tue optimistisch und mutig schreiten wir voran.

Die Sonderausstellung über historische Modelle (wie ein spektakuläres Schiff aus Silber), die wir uns ausgesucht hatten, ist für uns nichts, da man sich die Objekte mühsam im ganzen Museum zusammensuchen muss, was mit vier Kindern im Schlepptau etwas schwierig/unmöglich ist. Wir sehen uns einfach ein paar Teile davon an, auf die wir gleich treffen, und lassen einfach den Rest, der noch so herumsteht, auf uns zukommen. Dürer und Konsorten, gibt ja genug. Das ist doch für meinen kunstbeflissenen Sohn einfach prima. Er hatte sich im Netz schon einige Gemälde, die er sehr naturalistisch fand, angesehen. Also, das erste Objekt, das wieder Interesse findet, ist ein ca. 20 Zentimeter kleines Modell einer Schwangeren mit Baby darin. Mario findet sofort den Knackpunkt. Wer ist da gestorben? Die war doch tot, oder? Das ist doch nur ein ganz kleines Modell. Nein, die war tot! De facto muss ja mal jemand tot gewesen sein, um zu wissen, wie das aussieht, beharrt er – was nicht von der Hand zu weisen ist … Meine Freundin schlägt begeistert in die gleiche Kerbe. „Ja, das stimmt! Die Mediziner haben sich das immer genau angesehen. Sogar heute noch kann man seinen Körper der Anatomie vermachen, damit die Ärzte dann alles aufschnippeln und untersuchen können.“ „OH MEIN GOTT!“

Mein Sohn, begeisterter Comicleser, ist ein Meister darin, die Botschaft von Bildern zu entschüsseln, und findet innerhalb von fünf Minuten noch Folgendes: eine heillose Massenschlägerei (meine pädagogisch wertvolle Interpretation: Damals hatten sie noch keinen Fernseher, also musste man einmal im Jahr mal etwas richtig Cooles veranstalten). Eine ganze Armada von Heiligen, denen man die Köpfe abgeschnitten hat; einen weiteren Heiligen, dem man das Auge aufbohrt – Mama, was macht der Mann da? Verdammt noch mal! Schaut ja echt schlimm aus. Kann hier nicht endlich jemand mal irgendwelche Blümchen, Engelchen oder Porträts anschauen!? Wir gehen jetzt sofort in die Spielzeugabteilung!

Die liegt ganz versteckt in einem Nebengebäude und wir sind wohl deshalb auch allein dort. Aber auch das ist nicht das Wahre – keine Tablets, keine Computer. Naja, wir entdecken aber eine wirklich schöne historische Schachtel mit der Aufschrift „Für brave Kinder“, in die ein Tablet sehr gut hineinpassen würde (haha, die kann man bestimmt nachbauen!). Die Jungs flitzen durch, kommen nach zwei Minuten wieder und fragen, ob wir jetzt gehen. Auch Felicitas findet die bücherregalgroßen, aber komplett rosa-losen Puppenhäuser, in denen keine Barbie sitzt, nicht so prickelnd. Wir Erwachsenen bestaunen papierne Theaterkulissen. Meist von Erwachsenen bedient, die Kinder durften aber die Rollen auswendig lernen. Geil, gell! Was für ein Freizeit-Vergnügen! Werde ich mir gleich für die Weihnachtsferien vormerken. Die einzige Attraktion, die alle flasht, sind die Toiletten.

Ok, das war’s dann. Wir gehen – schnell, denn irgendwie geht es nicht in meinen Kopf, dass die Jungs außer ein bisschen Gemaule noch nichts Fürchterliches angestellt haben – und das soll auch so bleiben. Einen Trumph haben wir noch: Bei unseren Museumtickets war freundlicherweise ein Gutschein für jeweils ein Getränk in einem Café in der Nähe dabei. Fröhlich begeben wir uns durch das Treiben in der Fußgängerzone dorthin. Echt nett dort. Der einzige freie Platz befindet sich neben einem Tisch mit einem älteren Ehepaar. Da bin ich mittlerweile ein wenig misstrauisch, wie die auf so eine Kinderschar reagieren, aber es hilft ja nichts. Außerdem bin ich diesmal vollkommen auf dem falschen Dampfer, denn diese Menschen lächeln uns ganz freundlich zu („noch“ raunt mir mein Pessimismus zu).

Nein, sie sitzen nur artig da und lächeln, und sie schenken uns obendrein sogar noch zwei Gutscheine – anscheinend waren sie ebenfalls im Museum gewesen. Wie teilen wir die jetzt auf? Wie wäre es mit zweimal Champagner für die Damen? „Zwei Geschwister teilen sich ein Getränk“, ruft meine Freundin fröhlich. Ok, auch eine Idee. Da ich kein Geschwister dabei habe und sie auch nicht, heißt das wohl, dass wir den Blagen die Gutscheine überlassen.

Tja, was soll ich sagen, das war eine gute Idee, denn die größeren Kinder laufen eifrig los und holen sich ihre süße Plörre, während es meiner Freundin schwant, was sie angestellt hat. „Das dauert keine fünf Sekunden, und dann fangen sie an zu streiten, wie IMMER!“

Haha, bei uns läuft das so: Felicitas überlässt Mario ihre Limo, weil sie schon genug hat. Ich schaue gespannt auf die beiden anderen und auf die Uhr: nur eine Sekunde, dann geht es los.

Freundin-Tochter: „Mann, der trinkt immer so viel.“

Freundin-Sohn: “Stimmt überhaupt nicht, Du!“ Er zieht wie ein Verrückter an seinem Strohhalm.

„Machst Du doch! Hör endlich auf zu trinken, jetzt bin ich dran!“
„Nein!“ (Saugsaugsaug)

„Maaaamaaa, er hört nicht auf zu trinken!“
„Hör jetzt auf zu trinken, lass sie auch mal.“

„Saugsaugsaug.“

(Kreisch)

„Komm, lass sie endlich.“ (Resoluter Griff an die Limoflasche).

Tochter: „Saugsaugsaug!“

„Hey, die trinkt alles aus!“

„Stimmt ja gar nicht, Du hast viel mehr getrunken!“

Usw.

Ich genieße den sich entspinnenden Geschwisterstreit, für den ich nicht zuständig bin, muss allerdings einen eher unspezifischen Nervenzusammenbruch mit lautem Geheule von Felicitas ertragen (der sich ganz gewiss nicht als Spätfolge in frühem Schlafverhalten äußern wird). Zeit zum Aufbruch, meine Lieben.

Die Jungs haben sich aus drei dicken schwarzen Strohhalmen jeweils einen ca. 1 Meter langen Monster-Strohhalm gebastelt, von dem sie ums Verrecken nicht ablassen wollen, was in der vollen U-Bahn einen gewissen hypnotischen Effekt auf uns hat. Ich kann nicht aufhören, auf diese Strohhalme zu starren, weil dieser in meinem Kopfkino demnächst im Nasenloch oder Auge eines anderen Fahrgasts verschwinden wird, bin aber zu willensschwach, um die Halme mit bösem Mama-Geblaffe einzukassieren, da ja bislang noch nichts dergleichen passiert ist. Ja, und es passiert auch tatsächlich nichts. Wahrscheinlich weil wir Mamas diese jetzt per telepathischer Fernbedienung lenken. Puh, geschafft! Museum ist heil, wir auch.

Nachtrag zum Thema Geschwisterstreit: Als wir schon längst ohne unsere lieben Freunde im Bus in die Pampa sitzen, fällt Felicitas auf, dass sie geneppt wurde. „Ich will aber auch so eine Limo.“ Wer zu spät kommt … dem kauft Mama noch eine gelbe Brause im Supermarkt.

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