Montag, 17. November 2014

Messer, Gabel, Schere, Licht …



Ich hab mir bei der Versorgung meiner Familie mit supergesundem Gemüse, das sie nicht wollen, böse in den Finger geschnitten. Schaut echt fies aus, es hilft auch keine Neu-Interpretation durch mehrmaliges Betrachten: Ich muss zum Doktor. Ich hab Glück, ich kann quasi allein hin (also mit nur einem Kind, Timmy – die Tatsache, dass der Knabe den Kindergarten besucht, sollte nicht dazu verführen zu denken, dass er da auch sei, es gibt Klausurtage, Brückentage, Ferientage, Personaldingenskirchen-die-Kinder-nerven-uns-sowieso-jeden-Tag-also-heute-mal-ohne-Tage, etc. pp.). Also erst mal in netter Begleitung 45 Minuten beim Hausarzt warten. Die Ärztin: „Schaut echt bös aus.“  Timmy (gebannt auf die Wunde starrend): „Das sieht eklig aus.“  Da beide nicht über weitergehende Infos verfügen, was den Zustand meiner Hand betrifft, wächst in mir doch der Wunsch, mal jemanden zu fragen, der sich damit wirklich auskennt. Wo eine Handchirurgie ist, weiß die Gute allerdings nicht, Dr. Timmy verweist mich auf das nicht allzu weit entfernt gelegene Krankenhaus. Und da gehe ich nach kurzer Konsultation von Dr. Google jetzt auch hin. Dr. Timmy („Hab ich doch gesagt“) läuft gut gelaunt neben mir hier.
LEIDER fährt die sonst superzuverlässige U-Bahn wegen einer Störung erst mal auf absehbare Zeit gar nicht. Daher verlängert sich unsere Fahrtzeit von 10 Minuten auf gut eineinviertel Stunden im Bus, eingedost wie die Ölsardinen. Ich habe noch Glück, als ich meinen Platz einer recht schlanken Oma überlasse, rutscht sie flink zur Seite, so dass ich mit Timmy auf dem Schoß noch auf den schmalen 1,5 Personen-Sitz draufpasse; sonst werde der Kleine ja noch zusammenquetscht, sagt sie. Nett! Sie bespaßt sogar Timmy, der ihr dafür nette Details offenbart: „Meine Mama hat gepupst.“ Ich hoffe, ich habe mich verhört. „MEINE MAMA HAT DREIMAL GEPUPST.“ Schön, meine Ohren funktionieren noch! Ich schwitze und halte meinen kaputten Daumen nach oben. Die Laune ist schlecht. Mir ist heiß, ich hab Durst, mir ist langweilig … äh, ist das nicht eigentlich Timmys Part? Der ist aber nach wie vor bester Laune. Wir sind jetzt seit dreieinhalb Stunden unterwegs.
Das Krankenhaus, das wir in einem Halbtagesmarsch auf der Suche nach der Notambulanz durchqueren, findet er auch nicht schlecht, insbesondere die Automaten, aus denen flink und fleißig Schokoriegel heraussausen. Und ich? Gibt‘s hier keinen Kaffee, denke ich missmutig vor mich hin stapfend. Als ich endlich beim Doc bin, freut sich der Sohnemann schon auf den Anblick der ekligen Wunde und bringt sich in Position, um kein blutiges Detail zu versäumen. Er bekommt von der netten Schwester auch eine Spritze (zu Timmys Bedauern:„Da ist ja überhaupt keine Nadel dran!“, „nur für Wasser“, klärt die Schwester auf), mit der er unsere Wohnung durchnässen kann, während ich mich mit langweiligen Verbänden begnügen muss, die ich auf keinen Fall nass machen soll (So entwickeln sich Probleme!). Zwar will Timmy am liebsten wieder mit dem BUS nach Hause fahren, aber ich pfeife ihn zur U-Bahn, die freundlicherweise wieder fährt (ich hab nach fünf Stunden Exkursion Hunger, Durst, Langeweile…)
LEIDER muss ich zum krönenden Abschluss der Odyssee auch noch etwas einkaufen. Nach so vielen Stunden ist Timmys Bravseins-Tank restlos aufgebraucht, und das artige Wesen, das Stunden hinweg neben mir im Wartezimmer saß und brav sein Fußballheft studierte, hat sich in einen unkontrollierbaren Wirbelwichtel verwandelt, der chaotische Lautfolgen ausstoßend riesige Familien-XXL-Packs-Gummibärchentüten in seinen Pranken hält und nicht mehr loslassen will. Eine Oma stellt sich ostentativ daneben und beobachtet das Treiben. Mann, kann man nicht einmal seine Ruhe haben und damit meine ich nicht Timmy??? Ich befehle Timmy, die Tüten zuzulegen. Oma glotzt. Ich befehle Timmy wieder, die Tüten zurückzulegen. Oma schaut. Ich befehle …. Er legt sie zu meiner großen Überraschung wieder zurück. Allerdings greift er dafür nur noch weiter zu. Mann! Soll ich das alles kaufen? Was jetzt? Ich schaufle den Süßkram, der das Band entlangfluscht, mit meiner guten Hand dem Kassierer entgegen. Einer plötzlichen Eingebung folgend bitte ich ihn, das alles wieder zurückzulegen, kleiner Irrtum. Schnell weg! Der Freizeitspaß ist hiermit zu Ende.
Timmy – der seine Energien beim gemeinschaftlichen Verwüsten unserer Wohnung mit seinen Geschwister wieder in die richtigen Bahnen gelenkt zu haben scheint -  hat dem Doc gut zugehört: no sports, solange der Verband drauf ist. Daher schlägt er zum Ausgleich einen Gang im Stockdunklen zur Bibliothek vor. Coole Halloween-artige Nachtwanderung, so in dem Stil. Gut, trotz des Aussetzers im Supermarkt finde ich, das hat er verdient. Ich bin zwar platt wie eine Flunder, aber was soll’s, das bin ich ja immer. Abends teile ich daher die Kinder auf, d.h. ich nehme Timmy, den Rest muss mein Mann übernehmen. „Was, alle?“, stöhnt er. „Äh … ja.“ „Und was ist mit dem da?“ Ein Nachbarsjunge, der seinen Schlüssel vergessen hat, ist auch noch da. Der zählt aber leider überhaupt nicht, kläre ich meinen Mann auf, da brav/gehorsam/leise/nicht so wie unsere Kinder. „Sind also nur zwei, und Felicitas ist ganz klein, also bleibt nur noch Mario, und der ist ja schon groß und supervernünftig. Also bleibst Du sozusagen allein hier, während ich Timmy nehme! Tschühüß!“ Ich winke mit meiner großen Daumen-Hand und bin dann mal weg.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen