Ich hab mir bei der Versorgung meiner Familie mit
supergesundem Gemüse, das sie nicht wollen, böse in den Finger geschnitten. Schaut
echt fies aus, es hilft auch keine Neu-Interpretation durch mehrmaliges
Betrachten: Ich muss zum Doktor. Ich hab Glück, ich kann quasi allein hin (also
mit nur einem Kind, Timmy – die Tatsache, dass der Knabe den Kindergarten
besucht, sollte nicht dazu verführen zu denken, dass er da auch sei, es gibt
Klausurtage, Brückentage, Ferientage, Personaldingenskirchen-die-Kinder-nerven-uns-sowieso-jeden-Tag-also-heute-mal-ohne-Tage,
etc. pp.). Also erst mal in netter Begleitung 45 Minuten beim Hausarzt warten.
Die Ärztin: „Schaut echt bös aus.“ Timmy (gebannt auf die Wunde starrend): „Das sieht eklig aus.“ Da beide nicht über weitergehende Infos
verfügen, was den Zustand meiner Hand betrifft, wächst in mir doch der Wunsch,
mal jemanden zu fragen, der sich damit wirklich auskennt. Wo eine Handchirurgie
ist, weiß die Gute allerdings nicht, Dr. Timmy verweist mich auf das nicht
allzu weit entfernt gelegene Krankenhaus. Und da gehe ich nach kurzer Konsultation
von Dr. Google jetzt auch hin. Dr. Timmy („Hab ich doch gesagt“) läuft gut
gelaunt neben mir hier.
LEIDER fährt die sonst superzuverlässige U-Bahn wegen einer
Störung erst mal auf absehbare Zeit gar nicht. Daher verlängert sich unsere
Fahrtzeit von 10 Minuten auf gut eineinviertel Stunden im Bus, eingedost wie
die Ölsardinen. Ich habe noch Glück, als ich meinen Platz einer recht schlanken
Oma überlasse, rutscht sie flink zur Seite, so dass ich mit Timmy auf dem Schoß
noch auf den schmalen 1,5 Personen-Sitz draufpasse; sonst werde der Kleine ja
noch zusammenquetscht, sagt sie. Nett! Sie bespaßt sogar Timmy, der ihr dafür
nette Details offenbart: „Meine Mama hat gepupst.“ Ich hoffe, ich habe mich
verhört. „MEINE MAMA HAT DREIMAL GEPUPST.“ Schön, meine Ohren funktionieren
noch! Ich schwitze und halte meinen kaputten Daumen nach oben. Die Laune ist
schlecht. Mir ist heiß, ich hab Durst, mir ist langweilig … äh, ist das nicht
eigentlich Timmys Part? Der ist aber nach wie vor bester Laune. Wir sind jetzt
seit dreieinhalb Stunden unterwegs.
Das Krankenhaus, das wir in einem Halbtagesmarsch auf der
Suche nach der Notambulanz durchqueren, findet er auch nicht schlecht,
insbesondere die Automaten, aus denen flink und fleißig Schokoriegel
heraussausen. Und ich? Gibt‘s hier keinen Kaffee, denke ich missmutig vor mich
hin stapfend. Als ich endlich beim Doc bin, freut sich der Sohnemann schon auf
den Anblick der ekligen Wunde und bringt sich in Position, um kein blutiges
Detail zu versäumen. Er bekommt von der netten Schwester auch eine Spritze (zu Timmys Bedauern:„Da ist ja überhaupt keine Nadel dran!“, „nur für Wasser“, klärt
die Schwester auf), mit der er unsere Wohnung durchnässen kann, während ich
mich mit langweiligen Verbänden begnügen muss, die ich auf keinen Fall nass
machen soll (So entwickeln sich Probleme!). Zwar will Timmy am liebsten wieder
mit dem BUS nach Hause fahren, aber ich pfeife ihn zur U-Bahn, die
freundlicherweise wieder fährt (ich hab nach fünf Stunden Exkursion Hunger,
Durst, Langeweile…)
LEIDER muss ich zum krönenden Abschluss der Odyssee auch
noch etwas einkaufen. Nach so vielen Stunden ist Timmys Bravseins-Tank restlos
aufgebraucht, und das artige Wesen, das Stunden hinweg neben mir im Wartezimmer
saß und brav sein Fußballheft studierte, hat sich in einen unkontrollierbaren
Wirbelwichtel verwandelt, der chaotische Lautfolgen ausstoßend riesige Familien-XXL-Packs-Gummibärchentüten
in seinen Pranken hält und nicht mehr loslassen will. Eine Oma stellt sich ostentativ
daneben und beobachtet das Treiben. Mann, kann man nicht einmal seine Ruhe
haben und damit meine ich nicht Timmy??? Ich befehle Timmy, die Tüten zuzulegen.
Oma glotzt. Ich befehle Timmy wieder, die Tüten zurückzulegen. Oma schaut. Ich befehle
…. Er legt sie zu meiner großen Überraschung wieder zurück. Allerdings greift
er dafür nur noch weiter zu. Mann! Soll ich das alles kaufen? Was jetzt? Ich
schaufle den Süßkram, der das Band entlangfluscht, mit meiner guten Hand dem
Kassierer entgegen. Einer plötzlichen Eingebung folgend bitte ich ihn, das
alles wieder zurückzulegen, kleiner Irrtum. Schnell weg! Der Freizeitspaß ist
hiermit zu Ende.
Timmy – der seine Energien beim gemeinschaftlichen Verwüsten
unserer Wohnung mit seinen Geschwister wieder in die richtigen Bahnen gelenkt
zu haben scheint - hat dem Doc gut
zugehört: no sports, solange der Verband drauf ist. Daher schlägt er zum
Ausgleich einen Gang im Stockdunklen zur Bibliothek vor. Coole Halloween-artige
Nachtwanderung, so in dem Stil. Gut, trotz des Aussetzers im Supermarkt finde
ich, das hat er verdient. Ich bin zwar platt wie eine Flunder, aber was soll’s,
das bin ich ja immer. Abends teile ich daher die Kinder auf, d.h. ich nehme Timmy, den Rest muss mein Mann übernehmen. „Was, alle?“, stöhnt er. „Äh … ja.“
„Und was ist mit dem da?“ Ein Nachbarsjunge, der seinen Schlüssel vergessen
hat, ist auch noch da. Der zählt aber leider überhaupt nicht, kläre ich meinen
Mann auf, da brav/gehorsam/leise/nicht so wie unsere Kinder. „Sind also nur
zwei, und Felicitas ist ganz klein, also bleibt nur noch Mario, und der ist ja
schon groß und supervernünftig. Also bleibst Du sozusagen allein hier, während
ich Timmy nehme! Tschühüß!“ Ich winke mit meiner großen Daumen-Hand und bin dann
mal weg.
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