Mein Sohn Mario ist nach den Schulstunden derart bewegungssüchtig, dass er auf unseren Möbeln herumspringt und wir uns vorkommen wie bei Tarzan im Dschungel. Um unser Mobiliar zu schonen, schlage ich vor, eine Probestunde Judo zu absolvieren. Die Begeisterung ist bei beiden Jungs groß. Aufwand auch. Im Hort anrufen und organisieren, dass Mario früher nach Hause kommt, Timmy zwei Stunden früher aus dem Kindergarten abholen, ihn davon überzeugen, dass man fünf Minuten vor Abmarsch kein komplettes Vollbad mehr nehmen kann, Sportsachen richten, Wasserflasche, Anti-Quengel-Keks für Felicitas usw. Bei strömendem Regen (Regenhaube für Kinderwagen, Regenmäntel, Kinderschirme, Diskussion, ob man Gummistiefel braucht) geht es auch schon los. Mich überkommt angesichts der Wassermassen eine gewisse Müdigkeit. Ich weiß ja, dass es total gesund ist, bei Wind und Wetter andauernd draußen zu sein, aber ich habe einfach keinen Bock; ich würde ehrlich gesagt lieber im trocknen Auto sitzen (ich verdränge den Gedanken, dass mir das auch nichts nützen würde und vermutlich noch langer dauern). Die Kinder lassen sich von meiner miesen Stimmung nicht anstecken, sondern hüpfen fröhlich durch die Pfützen, nicht ohne ständig zu meditativen Pausen innezuhalten, um Schleim-Schnecken oder dekorativ verrottenden Müll zu beobachten bzw. mit ihren Kinderschirmen Kung-Fu-artige Performances hinzulegen. Ich warte. Warte. Warte. Das habe ich einkalkuliert und schließlich sind wir bei der Turnhalle.
Letztendlich sieht die Lage so aus. Mario fürchtet sich so
sehr vor den anderen Kindern und dem Judo-Lehrer, dass er sich außerstande
sieht, auch nur ansatzweise die Judo-Matte zu betreten. Timmy ebenfalls. Meiner
Meinung nach sieht der 2-Meter-Hüne mit schwarzem Gürtel im Vergleich zu Marios
Friseur total harmlos aus. Die Einzige, die unbedingt und pausenlos auf die
Judo-Matte will, ist Felicitas. Die sich verrenkenden Kämpferpaare, die sie
vermutlich an ihre Brüder erinnern, ziehen sie magisch an, während ich sie
davor zu bewahren suche, eins auf die Mütze zu bekommen. In meinen Armen dreht
sie sich wie ein wild gewordenes Grillhähnchen und kreischt und brüllt wie
angesengt - ein Höllenlärm, ununterbrochen. Den machen – trotz ihrer Furcht –
die anderen beiden allerdings auch. Sie ziehen wie eine Naturgewalt durch die
Halle und übertreffen den Lärm der anderen zehn Kinder bei Weitem. Den
Judo-Lehrer juckt das nicht, aber eine Mutter bittet mich, ich solle meinen
Kindern die Schuhe ausziehen, weil sie das Getrampel stört. Keine Sportschuhe
und kein Rennen in einer Turnhalle?! Hä? Vor Verblüffung bleibt mir die Spucke
weg, aber das mache ich ganz bestimmt nicht. Da die Blagen sich aber so
furchtbar aufführen, hätte ich doch nicht übel Lust, meinen Frust abzuladen und
die Alte total zur Schnecke zu machen und hoffe, sie kommt nochmal, jetzt, wo
ich im hysterische-Schnepfen-Modus bin. Aber nein, sie denkt anscheinend, ich
sei gestraft genug, was auch der Wahrheit entspricht. Die Einzige, die wirklich
Sport macht und schwitzt wie ein Schwein, bin ich, da ich ja die ganze Zeit das
Grillhendl durch die Halle trage in der Hoffnung a) dass es die Existenz der
Judo-Matte vergisst, b) dass die zwei anderen Sportfreaks sich doch noch besinnen.
Beide Hoffnungen zerschlagen sich natürlich innerhalb der nächsten Stunde,
obwohl ich mit Engelszungen auf sie einrede. Ich bin stinksauer. Abmarsch! Wir
latschen im Regen nach Hause. Timmy findet einen Regenwurm und nimmt ihn mit.
Als er ihn auf den Boden wirft und darauf herumspringt, verkündet er voll
Freude: „Er ist wieder aufgewacht!“ Ich glaube, der arme Regenwurm ist da
leider ganz anderer Meinung. Dann findet er einen ekelerregenden alten Strick
und kaut darauf herum. Er kann sich erst vor der Wohnungstür von dem Teil
trennen, was ja sehr schön ist, andererseits schleudert er das Ding einfach ins
Treppenhaus.
Mein Gott! Wieso mache ich sowas? Wozu gibt es Kindersport?
Abends, als ich mich etwas beruhigt habe, sage ich Mario,
dass er nicht mehr ins Judo braucht, aber dass er einen Sport machen solle, von
mir aus im Garten rennen, ins Kinderturnen, Fußball spielen, oder sonstwas.
Sind wir uns darüber einig, dass Sport gut ist. „Ja!“
„Und, Mario, was willst Du machen?“
„Judo!“
PS: Kleiner Scherz.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen