Süper Haare
Mein Ältester kommt ja bald in die Schule. Alles ist bereit,
Schulranzen gekauft, Schultüte gebastelt, eifersüchtiger Bruder
einigermaßen beruhigt. Nur eins noch: Mir fällt auf, dass ein neuer
Haarschnitt mal wieder angebracht wäre, der kleine Große soll ja auch
schön aussehen. Ich hole ihn also gemeinsam mit Felicitas schon früher aus
dem Hort ab, während Timmy noch im Kindergarten ist, so
können wir dies auch noch in Ruhe erledigen. Mario ist zwar willig,
dennoch läuft er langsamer als ein alter fußlahmer Esel und benötigt
außerdem während des ca. 1 Kilometer langen Fußweges eine Rast mit
Brotzeit und eine Rast mit Turnpause, während der er einmal in einen
Busch fällt und sich einmal die Knie aufschabt. Gut, eine gute halbe
Stunde später sind wir auch schon da. Wir gehen heute mal nicht in den
Salon, den ich der Einfachheit halber Turkish Süper Haare nenne, da die
meist türkischstämmigen Besitzer sehr oft wechseln, sondern ich will was
Anderes ausprobieren. Mein Sohn ist skeptisch. Im Haarmode-Salon werden
wir von einer jungen gepflegten Dame freundlich begrüßt; auf einer
Vielzahl von Friseurstühlen sind allerlei Omis, die sich die Haare
ondulieren, Frauen, die sich die Haare mit Strähnen versehen lassen, bis
in die Tiefen des Raumes aufgereiht. „Heute müssten Sie eine Stunde
warten, aber wir können einen Termin ausmachen.“ „Mama, bitte nicht!“ Marios Blick ist voll Angst und Verzweiflung. „Bitte hier nicht. Hier
gefällt es mir nicht. Ich will dahin, wo wir immer hingehen.“
Draußen läuft er traurig und mit hängenden Schultern neben mir her. Er
tut mir richtig Leid. „Ok, wir gehen dahin, wo Du willst!“
Als wir
dort sind, ist Mario gleich begeistert: „Da will ich hin!“ Ich frage
eine nett aussehende rothaarige Frau mit russischem Akzent, ob es heute
geht. „Ja, können Sie soforrt bei Kollägän!“ Sie zeigt nach links. Mir
fallen fast die Augen raus: Vor uns steht ein bulliger, äußerst finster
dreinblickender Orientale mit Armen wie Baumstämme, die über und über
mit gruseligen Tätowierungen verziert sind. Und als er uns sieht, wird
sein Blick noch viel finsterer. Ich habe ein bisschen Angst vor ihm,
aber ich kenne meinen Sohn und weiß, dass so ein Coiffeur seines
Vertrauens aussieht. Ich sehe zu Mario. Mario nickt. Godzilla hebt Mario
(27 kg), als wäre er ein Wattebäuschchen, auf den Friseurstuhl mit
einer Sitzerhöhung für Kinder. „Bitte ihm die Haare schneiden.“ Ich
erkläre, dass Mario hinten einen Wirbel hat, blabla … Ich merke schnell,
dass der Mann kein Wort versteht. Ok. Ob er Deutsch kann, kann mir
eigentlich egal sein, da er eh nicht so aussieht, als würde er gern mit
mir über die neuste Brigitte-Diät parlieren. Ich deute auf Mario und
sage: „Haare!“ Ich hoffe, dass ihm aus dem Kontext des Friseursalons, in
dem wir stehen, klar ist, dass er Mario die Haare schneiden soll, nicht
Ohren abreißen oder sowas. „Erst Maschine“, droht er und macht sich
unheilvoll dreinblickend ans Werk. Mario ist hochzufrieden. Das
süperdüper Handy des Orientalen (?) beginnt während der zehnminütigen
Prozedur ungefähr fünf Mal zu klingeln. Felicitas ist von dem ganzen
Geschehen so fasziniert, dass sie vergisst, dass ich sie böserweise im
Buggy festgeschnallt habe. Als er fertig ist, frage ich: „Können Sie
noch einen Blitz hineinrasieren?“ Er blickt mich jetzt höllendüster an.
Ich nehme meinen ganzen Mut zusammen und male mit dem Finger einen Blitz
an die Seite von Marios Kopf. Er dreht sich um und geht weg. Oh Gott,
holt er eine Axt? Er kommt zurück mit einem Notizblock und Kuli, malt
einige Striche und zeigt sie Mario. Mario schüttelt den Kopf. Godzilla
gibt Mario den Kuli. Mario malt auch und dann male ich. Schließlich
haben wir uns geeinigt, und das Werk wird vollendet. Dann geschieht es:
Godzilla lächelt mich an! Dann lächelt Mario mit den Blitzen an den
Schläfen und frisch geschnittenem Haar mich an, nur Felicitas weint ein
bisschen, weil sie jetzt doch raus will. Ach, bei Turkish Süper Haare
ist es halt doch am besten!
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