Montag, 1. Dezember 2014

Complicate Your Life!



Eine liebe Freundin hat mir ein Buch geschenkt: „Aus Liebe zum Wahnsinn“ von Georg Cadeggianini. Ich habe gerade erst angefangen zu lesen, aber bereits die erste Seite hat mich sehr gefallen, insbesondere das Motto „CYL“ Complicate Your Life (es geht dabei erst mal um die Tatsache, dass er sechs Kinder hat und dann noch eine Nudelmaschine – ich denke, mehr braucht man auch nicht zum Glücklichsein).
Das hat mich sehr angesprochen, denn CYL ist eigentlich auch eins meiner Lieblingsmottos. Nur meins? Aber besitzen wir nicht alle mittlerweile unzählige supernützliche Maschinen, die uns das Leben einfacher machen sollen? Nehmen wir beispielsweise Autos! Ist ja bis auf die Umweltverschmutzung, die Kosten, den Stau etc. eine super Sache, nicht mehr auf langsamen, kackenden Pferden herumzureiten. Aber nach einer gewissen Zeit der gesetzlosen Herumtreiberei kommt ja unter uns Menschen immer CYL ins Spiel: Falls Ihr mal versucht haben solltet, eine neue Kfz-Versicherung zu finden und dann ca. 300 Angaben – die natürlich erst mal erforscht sein wollen – in ein Online-Formular eingegeben habt, wisst Ihr, was ich meine. Und die Autos müssen natürlich auch alle korrekt betankt, gemeldet, getüvt, besteuert, bemautet werden (damit kann man ein Heer hochbezahlter Politiker monatelang beschäftigen, wie Ihr wisst! Schade übrigens, dass sich keiner von denen trotz großer Versprechungen je für einen Cent mehr Kindergeld engagiert hat, aber klar, man muss eben Prioritäten setzen).
Anderes Beispiel: Heutzutage muss man ja auch nicht mehr alles mit der Maschine schreiben oder aufwendig drucken lassen, alles kann man einfach aus dem Computer rauslassen. Leider ist es bei uns Menschen so: Wenn es möglich ist, dann machen wir das auch, aus irgendeinem mysteriösen Grund sagen wir nie: Stopp! Das reicht jetzt! Nein, wir verästeln und verfeinern unsere Systeme emsig und stetig. Somit kann man natürlich auch unendlich viele Formulare ausdrucken und auf den arglosen Bürger niederregnen lassen. Gerade was diese Auswüchse betrifft, würde ich sagen: Erwachsene brauchen Grenzen, sonst nimmt das ein übles Ende.
Aber CYL ist natürlich die Königsdisziplin und Lieblingshobby der Mütter. Ich nehme mal mich als Beispiel. Ein Kind zum Beispiel ist die ideale Voraussetzung, wenn man in die Fortgeschrittenengruppe der CYL-Anhänger aufgenommen werden will. Man merkt schnell: Dinge, die einstmals zu den einfach zu befriedigenden Grundbedürfnissen gehörten wie Essen und Schlafen, werden zum raren Luxusgut, das erst mal herorganisiert werden muss. Der Zeitplan wird straff, wenn man mit einem Säugling beispielsweise am gleichen Tag essen, duschen UND schlafen will.
Aber: Jetzt haben wir Mütter Blut geleckt, wir wollen mehr CYL! Das geht natürlich am einfachsten, indem man das zweite Kind bekommt (vorgeschobene Rechtfertigung: „Es wäre doch schön, wenn der Kleine/die Kleine ein Geschwisterchen hätte, das er/sie später mal verdreschen kann). Die Priorisierung muss noch mal straffer überarbeitet werden. Das geht meist in Richtung: „Eigentlich will ich nur noch eins: SCHLAFEN!“ Zeitgleich muss man natürlich, idealerweise während des Schlafens, das Kind herumtragen, wickeln, wieso-hört-es-immer-noch-nicht-auf-zu-schreien, bei der Krankenkasse anmelden, zum Kinderarzt bringen, Elterngeld beantragen etc. pp. Ach ja, Kind 1 ist übrigens auch noch da, was den straffen Zeitplan irgendwie durcheinanderbringt. D.h. wenn Kind 2 schläft, ist Kind 1 wacht und umgekehrt. CYL in Reinform! Gut sind natürlich auch die vielen Kleinkind- und Babyaccessoires, die man stets beachten und warten sollte. Windeln, Fläschchen, Wickelunterlagen, Schnuller, Wechselsachen, Spielsachen, Kekse, Mandarinenrippchen…. Am besten ist, man geht einfach nirgendwohin. Ihr wisst, wo die Reise hingeht. Ein drittes Kind muss her!
Aber ruhig Blut, ich habe hier ein paar CYL-Tipps, die man ganz leicht mit ein bis zwei Kindern nachmachen kann (Engagierte schaffen es aber auch ganz ohne):
DIY: Do it yourself! Damit fängt man idealerweise ohne jegliche Vorerfahrung in besonders stressigen Zeiten an. Eine Freundin hat mir da einen super Tipp gegeben. Adventskalender für die Kinder selber basteln. Mit 24 selbst gebastelten und befüllten Täschchen ist man da ja schon mal beschäftigt, Moment, ich nehme das mal kurz mal drei: 72! Cool! Aber jetzt kommt der absolut geniale CYL-Kniff, den ich selbst auch sehr gerne mal anwende: Man zwinge seinen Ehemann, sich daran zu beteiligen (am besten begleitet von Bemerkungen à la „Nie machst Du was für die Kinder“, „Ich verlange doch nicht viel von Dir“ etc. pp). Also, mit nur einem Projekt hat man da einen Riesenstress an der Backe, einen schmollenden Ehemann, und wenn’s ganz gut läuft, auch noch nörgelnde Kinder (indem ich zum Beispiel die vielen Tüten nur mit meinen LECKEREN DIY-Haferkeksen befüllen würde). Ist das nichts? Ich gestehe, es juckt mich in den Fingern und ich habe gedanklich schon mehrfach mit der Adventskalender-Idee gespielt, aber die Kinder haben’s versaut: Anfangs habe ich einen ambitiösen Playmobil-Kalender gekauft, allerdings hatte ich irgendwann die Nase voll von Plastikmist und einfach einen Adventskalender für 69 Cent beim Discounter geholt. Der Jubel war riesig – endlich Schoko! Dieses Jahr gibt’s natürlich Klagen, dass es keinen Playmobil-Kalender gibt –  das ist mir einfach zu heikel.
Aber ich verzage nicht, ich habe mein Ersatz-CYL-Projekt. Als Mario noch ganz klein war, habe ich zu Weihnachten für die lieben Freunde und Verwandte ein Familienfoto gemacht und als Weihnachtskarte verschickt. Nur sieben Stunden warten, bis der Fratz mal mit dem Greinen aufhört und schon knips-knips ist das goldige Foto fertig. Wäre ja noch ok gewesen, aber ich hab’s später noch mal getan. Das Ende vom Lied: Aus der Nummer komme ich jetzt natürlich nie mehr raus. Das bedeutet, den gesamten Herbst hängt das Damokles-Schwert „Weihnachtsfoto“ über mir und erscheint in immer größeren Lettern in der Spalte „Nicht vergessen“ meines Terminkalenders. Schock! Das bedeutet ja: Fünf Leute müssen zur gleichen Zeit manierlich gekleidet und guter Laune sein, auch das Sofa muss entmüllt werden, denn da sollen wir drauf sitzen.
Wir stellen also erst mal in einigen Arbeitsschritten den Sofamüll neben das Sofa, da sieht man ihn ja nicht. Timmy will mit ausgeleierter langer türkiser Unterhose und grünem Frosch-Pyjama-Oberteil auf das Foto. Nach einigem (noch) freundlichen Wortwechsel bietet er an: wahlweise mit Hemd und Fliege oder Krawatte. Haha, das geht doch schon in die richtige Richtung! Leider hat Mario sich schon die Krawatte gekrallt und die Fliege finde ich nicht mehr. Dann ein Lucky-Luke-Halstuch. Ok. Dass ich es nicht schaffen werde, Felicitas ein Kleidchen anzuziehen, ist mir bereits bekannt. Felicitas weiß, wie sie auf dem Foto aussehen will: blaue Jeans und schlichtes Oberteil. Naja, wir wollen uns ja nicht komplett verkleiden, man sollte uns schon wiedererkennen, nur halt in „nett“.
Nun muss nur noch jemand das Stativ suchen, um das Bild per Selbstauslöser zu machen. Spätestens jetzt gerät mein Mann ins Schwitzen und mault: „Wieso müssen wir immer dieses doofe Foto machen?“
 „Wir machen es halt!“, keife ich (nur über meine Leiche lasse ich von diesem CYL-Projekt ab!!!!), während ich versuche, die sich keilenden Jungs zu trennen bzw. davon abzuhalten, ihre Zungen herauszustrecken oder unanständige Gesten zu machen.
„Lächeln, verdammt noch mal!“, brülle ich.
„Jetzt hast Du so rumgeschrien, da ist es bestimmt nichts geworden“, erklärt mein ältester Sohn korrekterweise.
Aber das nächste Foto schaut ja super aus – wenn man von der Tatsache absieht, dass Felicitas beide Zeigefinger bis zum Anschlag in der Nase stecken hat. Danach haben sich sowohl mein Mann als auch mein altkluger Ältester in Gruselwesen vom Planeten der Affen verwandelt. Äh, Mist, jetzt habe ich grad so zwinkern müssen. Dann: Wieso hängen Timmys Mundwinkel plötzlich auf Höhe seiner Kniekehlen? Hatte er nicht mal zwei Augen? Mein Mann macht massiv Druck: „Ich mach jetzt kein Foto mehr!“
„Doch!“, sage ich sehr, sehr bestimmt und mache den Ehefrauen-Blick. Als Gegenleistung erhalte ich den Was-soll-man-mit-einer-Verrückten-herumstreiten-Seufzer. So stimmen wir uns im Allgemeinen auf die Adventszeit ein. Ist auch nicht so wild, wir machen ca. 200 Fotos, dann passt eins schon einigermaßen.
Eine sehr schöne Idee für die Vorweihnachtszeit ist natürlich auch das gemeinschaftliche Plätzchenbacken. Herrlich! Wir verstreichen Teig, Schokoguss und Zuckerdekokügelchen gleichmäßig über unsere Möbel … diesen Eindruck gewinne ich jedenfalls. Denn obwohl anscheinend alle Kinder dank strengster Ermahnungen artig auf ihrem Platz sitzen und lediglich den Boden mit schwer entfernbaren dunklen Fleckenornamenten und Teigbröckelchen volltropfen lassen (so denke ich), findet dennoch eine geheimnisvolle Osmose in alle Himmelsrichtungen statt, die nur Kinder beherrschen: die nächsten Monate bis in den Hochsommer hinein werde ich garantiert von mumifizierten Bestandteilen der Weihnachtsbäckerei heimgesucht werden: Sie werden zwischen den Papieren aus dem Drucker kommen, unter dem Bett hervorkugeln, in der Sauna festbacken, von unserer Waschmaschine gewaschen, zwischen den Legos als Mörtel festwachsen, in meinen Sandalen auf Nagetiere warten, aus dem im Keller lagernden Sonnenschirm herausfallen. Schön, wenn man sich die Erinnerungen an die wundervolle Vorweihnachtszeit so  lange LEBENDIG halten kann, oder?
Aber mein bester Tipp zum Thema CYL heißt: Die Messlatte immer schön hoch hängen! Das heißt, als leichter Messie orientieren wir uns ausschließlich am Ideal puristisch-minimalistischer Kargheit, als Perfektionisten machen wir uns einfach mal total locker, als prokrastinierende Chaoten füllen wir unsere überquellenden Bücherregale mit Ratgebern zum Thema Zeitmanagement, und wem gar nicht anderes einfällt, martert sich halt in Gottes Namen wegen seiner Figur. Und wir Eltern, ach, wir verlangen doch nicht viel, wir wollen doch nur, dass unsere Kinder sich stets als nette Zeitgenossen zeigen, von denen wir nie genervt sind, unsere Wohnung toll aufgeräumt ist, weil wir so ein super Team sind und alle mithelfen. Naja, fast.  Ich mache mich jetzt zur Übung einfach mal locker, während ich elf (!) einmal getragene Pyjamahosen im Kinderzimmer vom Boden aufklaube. Es könnte doch schlimmer sein. Zum Beispiel, indem wir elf Kinder hätten.

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