Eine liebe Freundin hat mir ein Buch geschenkt: „Aus Liebe zum Wahnsinn“ von Georg Cadeggianini. Ich habe gerade erst angefangen zu lesen,
aber bereits die erste Seite hat mich sehr gefallen, insbesondere das Motto
„CYL“ Complicate Your Life (es geht dabei erst mal um die Tatsache, dass er
sechs Kinder hat und dann noch eine Nudelmaschine – ich denke, mehr braucht man
auch nicht zum Glücklichsein).
Das hat mich sehr angesprochen, denn CYL ist eigentlich auch
eins meiner Lieblingsmottos. Nur meins? Aber besitzen wir nicht alle
mittlerweile unzählige supernützliche Maschinen, die uns das Leben einfacher
machen sollen? Nehmen wir beispielsweise Autos! Ist ja bis auf die
Umweltverschmutzung, die Kosten, den Stau etc. eine super Sache, nicht mehr auf
langsamen, kackenden Pferden herumzureiten. Aber nach einer gewissen Zeit der
gesetzlosen Herumtreiberei kommt ja unter uns Menschen immer CYL ins Spiel: Falls
Ihr mal versucht haben solltet, eine neue Kfz-Versicherung zu finden und dann
ca. 300 Angaben – die natürlich erst mal erforscht sein wollen – in ein
Online-Formular eingegeben habt, wisst Ihr, was ich meine. Und die Autos müssen
natürlich auch alle korrekt betankt, gemeldet, getüvt, besteuert, bemautet
werden (damit kann man ein Heer hochbezahlter Politiker monatelang
beschäftigen, wie Ihr wisst! Schade übrigens, dass sich keiner von denen trotz
großer Versprechungen je für einen Cent mehr Kindergeld engagiert hat, aber
klar, man muss eben Prioritäten setzen).
Anderes Beispiel: Heutzutage muss man ja auch nicht mehr
alles mit der Maschine schreiben oder aufwendig drucken lassen, alles kann man
einfach aus dem Computer rauslassen. Leider ist es bei uns Menschen so: Wenn es
möglich ist, dann machen wir das auch, aus irgendeinem mysteriösen Grund sagen
wir nie: Stopp! Das reicht jetzt! Nein, wir verästeln und verfeinern unsere
Systeme emsig und stetig. Somit kann man natürlich auch unendlich viele
Formulare ausdrucken und auf den arglosen Bürger niederregnen lassen. Gerade
was diese Auswüchse betrifft, würde ich sagen: Erwachsene brauchen Grenzen,
sonst nimmt das ein übles Ende.
Aber CYL ist natürlich die Königsdisziplin und
Lieblingshobby der Mütter. Ich nehme mal mich als Beispiel. Ein Kind zum
Beispiel ist die ideale Voraussetzung, wenn man in die Fortgeschrittenengruppe
der CYL-Anhänger aufgenommen werden will. Man merkt schnell: Dinge, die
einstmals zu den einfach zu befriedigenden Grundbedürfnissen gehörten wie Essen
und Schlafen, werden zum raren Luxusgut, das erst mal herorganisiert werden
muss. Der Zeitplan wird straff, wenn man mit einem Säugling beispielsweise am
gleichen Tag essen, duschen UND schlafen will.
Aber: Jetzt haben wir Mütter Blut geleckt, wir wollen mehr
CYL! Das geht natürlich am einfachsten, indem man das zweite Kind bekommt
(vorgeschobene Rechtfertigung: „Es wäre doch schön, wenn der Kleine/die Kleine
ein Geschwisterchen hätte, das er/sie später mal verdreschen kann). Die
Priorisierung muss noch mal straffer überarbeitet werden. Das geht meist in
Richtung: „Eigentlich will ich nur noch eins: SCHLAFEN!“ Zeitgleich muss man
natürlich, idealerweise während des Schlafens, das Kind herumtragen, wickeln,
wieso-hört-es-immer-noch-nicht-auf-zu-schreien, bei der Krankenkasse anmelden,
zum Kinderarzt bringen, Elterngeld beantragen etc. pp. Ach ja, Kind 1 ist
übrigens auch noch da, was den straffen Zeitplan irgendwie durcheinanderbringt.
D.h. wenn Kind 2 schläft, ist Kind 1 wacht und umgekehrt. CYL in Reinform! Gut
sind natürlich auch die vielen Kleinkind- und Babyaccessoires, die man stets
beachten und warten sollte. Windeln, Fläschchen, Wickelunterlagen, Schnuller,
Wechselsachen, Spielsachen, Kekse, Mandarinenrippchen…. Am besten ist, man geht
einfach nirgendwohin. Ihr wisst, wo die Reise hingeht. Ein drittes Kind muss
her!
Aber ruhig Blut, ich habe hier ein paar CYL-Tipps, die man
ganz leicht mit ein bis zwei Kindern nachmachen kann (Engagierte schaffen es
aber auch ganz ohne):
DIY: Do it yourself! Damit fängt man idealerweise ohne
jegliche Vorerfahrung in besonders stressigen Zeiten an. Eine Freundin hat mir
da einen super Tipp gegeben. Adventskalender für die Kinder selber basteln. Mit
24 selbst gebastelten und befüllten Täschchen ist man da ja schon mal beschäftigt,
Moment, ich nehme das mal kurz mal drei: 72! Cool! Aber jetzt kommt der absolut
geniale CYL-Kniff, den ich selbst auch sehr gerne mal anwende: Man zwinge
seinen Ehemann, sich daran zu beteiligen (am besten begleitet von Bemerkungen à
la „Nie machst Du was für die Kinder“, „Ich verlange doch nicht viel von Dir“ etc.
pp). Also, mit nur einem Projekt hat man da einen Riesenstress an der Backe,
einen schmollenden Ehemann, und wenn’s ganz gut läuft, auch noch nörgelnde
Kinder (indem ich zum Beispiel die vielen Tüten nur mit meinen LECKEREN
DIY-Haferkeksen befüllen würde). Ist das nichts? Ich gestehe, es juckt mich in
den Fingern und ich habe gedanklich schon mehrfach mit der Adventskalender-Idee
gespielt, aber die Kinder haben’s versaut: Anfangs habe ich einen ambitiösen
Playmobil-Kalender gekauft, allerdings hatte ich irgendwann die Nase voll von
Plastikmist und einfach einen Adventskalender für 69 Cent beim Discounter geholt.
Der Jubel war riesig – endlich Schoko! Dieses Jahr gibt’s natürlich Klagen, dass
es keinen Playmobil-Kalender gibt – das
ist mir einfach zu heikel.
Aber ich verzage nicht, ich habe mein Ersatz-CYL-Projekt.
Als Mario noch ganz klein war, habe ich zu Weihnachten für die lieben Freunde
und Verwandte ein Familienfoto gemacht und als Weihnachtskarte verschickt. Nur
sieben Stunden warten, bis der Fratz mal mit dem Greinen aufhört und schon
knips-knips ist das goldige Foto fertig. Wäre ja noch ok gewesen, aber ich hab’s
später noch mal getan. Das Ende vom Lied: Aus der Nummer komme ich jetzt
natürlich nie mehr raus. Das bedeutet, den gesamten Herbst hängt das
Damokles-Schwert „Weihnachtsfoto“ über mir und erscheint in immer größeren
Lettern in der Spalte „Nicht vergessen“ meines Terminkalenders. Schock! Das
bedeutet ja: Fünf Leute müssen zur gleichen Zeit manierlich gekleidet und guter
Laune sein, auch das Sofa muss entmüllt werden, denn da sollen wir drauf
sitzen.
Wir stellen also erst mal in einigen Arbeitsschritten den
Sofamüll neben das Sofa, da sieht man ihn ja nicht. Timmy will mit ausgeleierter
langer türkiser Unterhose und grünem Frosch-Pyjama-Oberteil auf das Foto. Nach
einigem (noch) freundlichen Wortwechsel bietet er an: wahlweise mit Hemd und
Fliege oder Krawatte. Haha, das geht doch schon in die richtige Richtung!
Leider hat Mario sich schon die Krawatte gekrallt und die Fliege finde ich
nicht mehr. Dann ein Lucky-Luke-Halstuch. Ok. Dass ich es nicht schaffen werde,
Felicitas ein Kleidchen anzuziehen, ist mir bereits bekannt. Felicitas weiß, wie sie
auf dem Foto aussehen will: blaue Jeans und schlichtes Oberteil. Naja, wir
wollen uns ja nicht komplett verkleiden, man sollte uns schon wiedererkennen,
nur halt in „nett“.
Nun muss nur noch jemand das Stativ suchen, um das Bild
per Selbstauslöser zu machen. Spätestens jetzt gerät mein Mann ins Schwitzen
und mault: „Wieso müssen wir immer dieses doofe Foto machen?“
„Wir machen es
halt!“, keife ich (nur über meine Leiche lasse ich von diesem CYL-Projekt
ab!!!!), während ich versuche, die sich keilenden Jungs zu trennen bzw. davon
abzuhalten, ihre Zungen herauszustrecken oder unanständige Gesten zu machen.
„Lächeln, verdammt noch mal!“, brülle ich.
„Jetzt hast Du so rumgeschrien, da ist es bestimmt nichts
geworden“, erklärt mein ältester Sohn korrekterweise.
Aber das nächste Foto schaut ja super aus – wenn man von der
Tatsache absieht, dass Felicitas beide Zeigefinger bis zum Anschlag in der Nase
stecken hat. Danach haben sich sowohl mein Mann als auch mein altkluger Ältester
in Gruselwesen vom Planeten der Affen verwandelt. Äh, Mist, jetzt habe ich grad
so zwinkern müssen. Dann: Wieso hängen Timmys Mundwinkel plötzlich auf Höhe
seiner Kniekehlen? Hatte er nicht mal zwei Augen? Mein Mann macht massiv Druck:
„Ich mach jetzt kein Foto mehr!“
„Doch!“, sage ich sehr, sehr bestimmt und mache den
Ehefrauen-Blick. Als Gegenleistung erhalte ich den
Was-soll-man-mit-einer-Verrückten-herumstreiten-Seufzer. So stimmen wir uns im
Allgemeinen auf die Adventszeit ein. Ist auch nicht so wild, wir machen ca. 200
Fotos, dann passt eins schon einigermaßen.
Eine sehr schöne Idee für die Vorweihnachtszeit ist
natürlich auch das gemeinschaftliche Plätzchenbacken. Herrlich! Wir
verstreichen Teig, Schokoguss und Zuckerdekokügelchen gleichmäßig über unsere
Möbel … diesen Eindruck gewinne ich jedenfalls. Denn obwohl anscheinend alle
Kinder dank strengster Ermahnungen artig auf ihrem Platz sitzen und lediglich
den Boden mit schwer entfernbaren dunklen Fleckenornamenten und Teigbröckelchen
volltropfen lassen (so denke ich), findet dennoch eine geheimnisvolle Osmose in
alle Himmelsrichtungen statt, die nur Kinder beherrschen: die nächsten Monate
bis in den Hochsommer hinein werde ich garantiert von mumifizierten
Bestandteilen der Weihnachtsbäckerei heimgesucht werden: Sie werden zwischen
den Papieren aus dem Drucker kommen, unter dem Bett hervorkugeln, in der Sauna
festbacken, von unserer Waschmaschine gewaschen, zwischen den Legos als Mörtel
festwachsen, in meinen Sandalen auf Nagetiere warten, aus dem im Keller
lagernden Sonnenschirm herausfallen. Schön, wenn man sich die Erinnerungen an
die wundervolle Vorweihnachtszeit so
lange LEBENDIG halten kann, oder?
Aber mein bester Tipp zum Thema CYL heißt: Die Messlatte immer
schön hoch hängen! Das heißt, als leichter Messie orientieren wir uns
ausschließlich am Ideal puristisch-minimalistischer Kargheit, als
Perfektionisten machen wir uns einfach mal total locker, als prokrastinierende
Chaoten füllen wir unsere überquellenden Bücherregale mit Ratgebern zum Thema
Zeitmanagement, und wem gar nicht anderes einfällt, martert sich halt in Gottes
Namen wegen seiner Figur. Und wir Eltern, ach, wir verlangen doch nicht viel,
wir wollen doch nur, dass unsere Kinder sich stets als nette Zeitgenossen
zeigen, von denen wir nie genervt sind, unsere Wohnung toll aufgeräumt ist,
weil wir so ein super Team sind und alle mithelfen. Naja, fast. Ich mache mich jetzt zur Übung einfach mal
locker, während ich elf (!) einmal getragene Pyjamahosen im Kinderzimmer vom
Boden aufklaube. Es könnte doch schlimmer sein. Zum Beispiel, indem wir elf
Kinder hätten.
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