Dienstag, 15. Juli 2014

Geschwisterliebe/-hiebe

Ich bin ja eigentlich sehr froh darüber, drei Kinder zu haben – allein schon, um den drohenden Testosteron-Überschuss hier etwas auszugleichen. Sehr schade nur, dass sie alle Geschwister sind! Um es einmal vorsichtig auszudrücken: Das Beziehungsgeflecht zwischen Geschwistern ist derart komplex, dass wir Eltern mit unserem simplen Erwachsenen-Denken damit schlicht überfordert sind. Geschwisterrivalität ist irgendwas, das einen sozial irgendwie angeblich weiterbringt, Eltern sollen jedem gerecht werden, dann: Friede, Freude, Eierkuchen, blabla. Hallo, das Blag zieht den anderen schon wieder an den Haaren! Die Sirene heult auf! Verdammt noch mal, ich kann’s nicht mehr hören! Ab in den Garten mit Euch! Es regnet wie Sau. Na und. Timmy und Mario führen dort einen Boxkampf auf, der Vitali und Wladimir das Fürchten lehrt. Beide sind klatschnass, aber zwischen den gellenden Schmerzensschreien euphorisch. Anschließend bekommt der augenscheinliche Verlierer von Mario einen sehr schönen Gipsverband aus Haushaltspapier und eine Wollschlinge, der diesen aufs Äußerste entzückt. Bevor er seinem Heiler zum Dank die korrekte Ausführung eines Saltos vorführen kann, muss er allerdings noch seiner Schwester das Auto, das er in den vergangenen drei Jahren niemals eines Blickes gewürdigt hat und mit dem sie friedlich spielt, wegnehmen: „Das ist meins!“ Sirene!!! Jetzt ist Timmy zufrieden! Jetzt noch schnell mit dem Auto unterm Arm den Salto schlagen! HEEEEEUUUUUL!!!! SPRING-SPRING! HEEEEUUUUL!!!! SPRING-SPRING!!!
Da ich ja selbst einen Bruder habe, muss ich zugeben, so ganz fremd ist mir das Ganze nicht. Mit einer gewissen Grundlangeweile im Blut gibt es nicht Geileres, als dem kleinen Bruder mit Schmackes eine reinzuhauen. Und ich bewundere heute meine Eltern, wie sie es zum Beispiel geschafft haben, mit uns im Auto nach Finnland zu fahren, und zwar nicht auf dem direkten Weg (1300 km), sondern über Schweden (2000 km), da die Fähre dort billiger war und Reisen sehr teuer. Ohne DVD-Player, Radio, Klimaanlage oder sonstigen Schnickschnack, wie das damals in der Steinzeit halt so war. Klar war, dass nach 200 km die ersten Krisen begannen. Ich prüfte zum Beispiel, wie mein Bruder auf einen Backenschnipp reagiert (Zeigefinger und Daumen auf Äußerste anspannen, die Backe des Kleinen anvisieren – SCHNIPP!), dann die klassische Brennnessel, usw. Das prüfte ich sogar sehr oft! Ich erinnere mich, dass wir meinen Vater, der ein absoluter Zen-Meister der Geduld ist, irgendwann in Mittelfinnland soweit hatten, dass er kategorisch erklärte, wir müssten jetzt beide sofort aussteigen, auf Wiedersehen! Und er fuhr tatsächlich los… drehte natürlich wieder um, sonst säße ich ja nicht hier. 100 km Ruhe, bis der nächste Backenschnipp usw. …Ich fragte mich damals, was haben die Alten nur… Jetzt frage ich mich ehrfürchtig: Wie haben die das bloß ausgehalten, und gestehe, ich winke bei Autofahrten über 200 km feige ab.
Es hat natürlich auch Vorteile von Geschwisterkindern. Viele kennen die viel gefürchtete Aussage: „Mama, mir ist langweilig!“ Ein Satz, den ich von meinen eigentlich sehr gerne jammernden Kindern noch nie gehört habe. Denn was würde dann passieren? Entweder ich ranze sie - an schlechten Tagen - böse an oder ich mache - an guten Tagen - etwas pädagogisch Sinnvolles wie Malen, interessante Lernspiele mit geometrischen Formen, Puzzles mit allen europäischen Ländern etc. JA DANKE AUCH! Wieso sollte ich mir DAS antun, wenn ich auch lustige Tierversuche an meinem Bruder durchführen kann???
Aufgrund der Größe der Crew bin ich auch nicht mehr auf fremde Hilfe angewiesen, wenn ich zum Beispiel allein mit den Kindern unterwegs bin. Man kennt es ja: U-Bahn, S-Bahn, der Fahrstuhl funktioniert mal wieder nicht oder es gibt einfach keinen. Jahrelang musste ich dann schwitzend zwei Kinder tragen und den Buggy mit meiner dritten Hand hinter mir herziehen oder auf jemanden warten, der mir hilft. Tatsächlich hat sich neulich sogar eine rüstige Rentnerin die Felicitas einfach geschnappt und die Treppe heruntergetragen. Echt nett! Aber was für ein herrlicher Triumph ist es für mich, wenn ich sagen kann: Nein danke! Vitali und Wladimir machen das! Und seht, ICH schwitze nicht (der Angstschweiß, der mir während der Fahrt und während des Umsteigens auf die Stirn tritt, ist bereits getrocknet).
Das Tollste ist der Gruppendruck! Also: Wenn einer es geschnallt hat, zieht der Rest mit. Beispiel: Felicitas hat ein Messer in der Hand und schlägt damit unkontrolliert auf den Tisch. Ich könnte es ihr jetzt wegnehmen und ein Riesengeheule würde losgehen, das in der nächsten halben Stunde nicht abflauen wird. Ich sage „Timmy…“ und deute auf das entfesselte Mädel. Timmy nimmt ihr das Messer weg, gibt ihr ein Brett und zeigt, wie sie schneiden soll. Felicitas lacht zufrieden und macht es ihm nach. Könnte ich das nicht auch so machen? Nein, liebe LeserInnen, das geht zwar in unsere komischen Erwachsenenhirne nicht rein, aber es funktioniert leider nur, wenn das jemand unter 1,30 m tut. Sorry, Mama.
Und welch Balsam für die gestresste Mütterseele ist der Petzalarm. „Mama, Felicitas haut mit der Gabel auf den Fernseher!“ (Fernseher gerettet!), „Mama, Timmy spritzt im Bad das ganze Wasser herum!“ (muss das Bad also nur fünfmal statt sechsmal am Tag putzen!), „Mama, Timmy haut Felicitas!“ – „Grein! Stimmt ja gar nicht, Felicitas hat meine ganzen Fußballkarten in die Badewanne geschmissen!“ „Pupallkarten! Pupallkarten!“ Felicitas hat noch weitere gefühlte 2000 Fußballkarten in der Hand und rast laut und glücklich lachend damit davon. Der Pupallkarten-Besitzer hinterher. Jetzt gibt es richtig Ärger… Kurze Zeit später sitzen beide glücklich vereint über Timmys Fußballalbum und sortieren die Karten ein. Es gibt nur eine mögliche Fortsetzung der Geschichte: Großmeister Mario kommt von hinten angeschlichen und schnappt sich Manuel Neuer. Daraufhin wird Felicitas so ein trommelfellberstendes Geschrei aufführen, bis er ihn wieder rausrückt… dann wird Timmy… dann wird Mario… äh was wollte ich damit eigentlich sagen? Ach, was soll’s. Ich werde wahrscheinlich eh bald taub sein.