Ich bin ja eigentlich sehr froh darüber, drei Kinder zu haben – allein
schon, um den drohenden Testosteron-Überschuss hier etwas auszugleichen.
Sehr schade nur, dass sie alle Geschwister sind! Um es einmal
vorsichtig auszudrücken: Das Beziehungsgeflecht zwischen Geschwistern
ist derart komplex, dass wir Eltern mit unserem simplen
Erwachsenen-Denken damit schlicht überfordert
sind. Geschwisterrivalität ist irgendwas, das einen sozial irgendwie
angeblich weiterbringt, Eltern sollen jedem gerecht werden, dann:
Friede, Freude, Eierkuchen, blabla. Hallo, das Blag zieht den anderen
schon wieder an den Haaren! Die Sirene heult auf! Verdammt noch mal, ich
kann’s nicht mehr hören! Ab in den Garten mit Euch! Es regnet wie Sau.
Na und. Timmy und Mario führen dort einen Boxkampf auf, der Vitali und
Wladimir das Fürchten lehrt. Beide sind klatschnass, aber zwischen den
gellenden Schmerzensschreien euphorisch. Anschließend bekommt der
augenscheinliche Verlierer von Mario einen sehr schönen Gipsverband aus
Haushaltspapier und eine Wollschlinge, der diesen aufs Äußerste
entzückt. Bevor er seinem Heiler zum Dank die korrekte Ausführung eines
Saltos vorführen kann, muss er allerdings noch seiner Schwester das
Auto, das er in den vergangenen drei Jahren niemals eines Blickes
gewürdigt hat und mit dem sie friedlich spielt, wegnehmen: „Das ist
meins!“ Sirene!!! Jetzt ist Timmy zufrieden! Jetzt noch schnell mit dem
Auto unterm Arm den Salto schlagen! HEEEEEUUUUUL!!!! SPRING-SPRING!
HEEEEUUUUL!!!! SPRING-SPRING!!!
Da ich ja selbst einen Bruder habe,
muss ich zugeben, so ganz fremd ist mir das Ganze nicht. Mit einer
gewissen Grundlangeweile im Blut gibt es nicht Geileres, als dem kleinen
Bruder mit Schmackes eine reinzuhauen. Und ich bewundere heute meine
Eltern, wie sie es zum Beispiel geschafft haben, mit uns im Auto nach
Finnland zu fahren, und zwar nicht auf dem direkten Weg (1300 km),
sondern über Schweden (2000 km), da die Fähre dort billiger war und
Reisen sehr teuer. Ohne DVD-Player, Radio, Klimaanlage oder sonstigen
Schnickschnack, wie das damals in der Steinzeit halt so war. Klar war,
dass nach 200 km die ersten Krisen begannen. Ich prüfte zum Beispiel,
wie mein Bruder auf einen Backenschnipp reagiert (Zeigefinger und Daumen
auf Äußerste anspannen, die Backe des Kleinen anvisieren – SCHNIPP!),
dann die klassische Brennnessel, usw. Das prüfte ich sogar sehr oft! Ich
erinnere mich, dass wir meinen Vater, der ein absoluter Zen-Meister der
Geduld ist, irgendwann in Mittelfinnland soweit hatten, dass er
kategorisch erklärte, wir müssten jetzt beide sofort aussteigen, auf
Wiedersehen! Und er fuhr tatsächlich los… drehte natürlich wieder um,
sonst säße ich ja nicht hier. 100 km Ruhe, bis der nächste Backenschnipp
usw. …Ich fragte mich damals, was haben die Alten nur… Jetzt frage ich
mich ehrfürchtig: Wie haben die das bloß ausgehalten, und gestehe, ich
winke bei Autofahrten über 200 km feige ab.
Es hat natürlich auch
Vorteile von Geschwisterkindern. Viele kennen die viel gefürchtete
Aussage: „Mama, mir ist langweilig!“ Ein Satz, den ich von meinen
eigentlich sehr gerne jammernden Kindern noch nie gehört habe. Denn was
würde dann passieren? Entweder ich ranze sie - an schlechten Tagen -
böse an oder ich mache - an guten Tagen - etwas pädagogisch Sinnvolles
wie Malen, interessante Lernspiele mit geometrischen Formen, Puzzles mit
allen europäischen Ländern etc. JA DANKE AUCH! Wieso sollte ich mir DAS
antun, wenn ich auch lustige Tierversuche an meinem Bruder durchführen
kann???
Aufgrund der Größe der Crew bin ich auch nicht mehr auf
fremde Hilfe angewiesen, wenn ich zum Beispiel allein mit den Kindern
unterwegs bin. Man kennt es ja: U-Bahn, S-Bahn, der Fahrstuhl
funktioniert mal wieder nicht oder es gibt einfach keinen. Jahrelang
musste ich dann schwitzend zwei Kinder tragen und den Buggy mit meiner
dritten Hand hinter mir herziehen oder auf jemanden warten, der mir
hilft. Tatsächlich hat sich neulich sogar eine rüstige Rentnerin die Felicitas einfach geschnappt und die Treppe heruntergetragen. Echt nett!
Aber was für ein herrlicher Triumph ist es für mich, wenn ich sagen
kann: Nein danke! Vitali und Wladimir machen das! Und seht, ICH schwitze
nicht (der Angstschweiß, der mir während der Fahrt und während des
Umsteigens auf die Stirn tritt, ist bereits getrocknet).
Das
Tollste ist der Gruppendruck! Also: Wenn einer es geschnallt hat, zieht
der Rest mit. Beispiel: Felicitas hat ein Messer in der Hand und schlägt
damit unkontrolliert auf den Tisch. Ich könnte es ihr jetzt wegnehmen
und ein Riesengeheule würde losgehen, das in der nächsten halben Stunde
nicht abflauen wird. Ich sage „Timmy…“ und deute auf das entfesselte
Mädel. Timmy nimmt ihr das Messer weg, gibt ihr ein Brett und zeigt, wie
sie schneiden soll. Felicitas lacht zufrieden und macht es ihm nach. Könnte
ich das nicht auch so machen? Nein, liebe LeserInnen, das geht zwar in
unsere komischen Erwachsenenhirne nicht rein, aber es funktioniert
leider nur, wenn das jemand unter 1,30 m tut. Sorry, Mama.
Und welch
Balsam für die gestresste Mütterseele ist der Petzalarm. „Mama, Felicitas
haut mit der Gabel auf den Fernseher!“ (Fernseher gerettet!), „Mama,
Timmy spritzt im Bad das ganze Wasser herum!“ (muss das Bad also nur
fünfmal statt sechsmal am Tag putzen!), „Mama, Timmy haut Felicitas!“ –
„Grein! Stimmt ja gar nicht, Felicitas hat meine ganzen Fußballkarten in die
Badewanne geschmissen!“ „Pupallkarten! Pupallkarten!“ Felicitas hat noch
weitere gefühlte 2000 Fußballkarten in der Hand und rast laut und
glücklich lachend damit davon. Der Pupallkarten-Besitzer hinterher.
Jetzt gibt es richtig Ärger… Kurze Zeit später sitzen beide glücklich
vereint über Timmys Fußballalbum und sortieren die Karten ein. Es gibt
nur eine mögliche Fortsetzung der Geschichte: Großmeister Mario kommt
von hinten angeschlichen und schnappt sich Manuel Neuer. Daraufhin wird Felicitas so ein trommelfellberstendes Geschrei aufführen, bis er ihn wieder
rausrückt… dann wird Timmy… dann wird Mario… äh was wollte ich damit
eigentlich sagen? Ach, was soll’s. Ich werde wahrscheinlich eh bald taub
sein.