Als Mutter ist frau ja leider in Punkto Gesprächskultur ein bisschen
verwildert. Der Klassiker ist: Man redet mit einer anderen Mutter, die
eine rennt plötzlich mitten im Satz davon, da irgendeins der Kinder
wieder mal am Horizont verschwunden ist/ein Selbstmordattentat verübt/in
die Steckdose langt/prügelnd auf seinem Geschwisterkind liegt etc. pp.
Oder eins der garstigen Blagen steht
plötzlich 2 cm vor meinem Gesicht und schreit: „Kann ich jetzt ENDLICH
Nintendo spielen?“, während ich gemütlich meinen Kaffee schlürfe.
ÄÄÄRGH!
Eigentlich bin ich in Punkto Gesprächskultur eher
skandinavisch geprägt. Also: Wir reden leise. Wir lassen alle ausreden.
Wir stieren uns nicht dauernd in die Augen. Eine politische Diskussion
im finnischen Fernsehen anzusehen, ist ein absoluter Genuss. Kein
niveauloses Unterbrechen, keine Beleidigungen, Herumgrabschen oder gar
Herumpöbeln, wie man es unter qualvollstem Fremdschämen bei deutschen
Politikern immer beobachten muss!!! Nein! Alle sitzen artig im Kreis und
reden nacheinander (!) und hören einander zu (!). Exotik pur, gell?
In Lateinamerika kann man mit sowas natürlich nicht ankommen. Für eine
Erzählung braucht man eine Theaterbühne und entsprechende Akustik! Jeder
brüllt, dass sich die Balken biegen. Spreche ich in einer „normalen“
Lautstärke, registriert kein Mensch, dass ich überhaupt etwas gesagt
habe. Hier muss man den Regler einfach ein bisschen mehr aufdrehen – und
das sollte man auch tun, denn sonst riskiert man, dass Onkel R.
angesichts der drohenden Gesprächspause mit der anscheinend stummen
Deutschen einen mehrstündigen Vortrag über Deutschland im Allgemeinen,
deutsche Geschichte etc. pp. hält. Das muss unbedingt vermieden
werden!!!
Es ist normal, dass der Nachbar um 4 Uhr früh seine Musik
so weit aufdreht, dass man senkrecht im Bett steht und denkt, jedes
Haar falle einem einzeln aus. „Sag mal, was ist mir Eurem Nachbarn
eigentlich los? Ich dachte, die Musikanlage stände direkt neben mir.“ –
„Nachbar? Nein, das ist der von der anderen Straßenseite!“ Weitere
Problematisierungen der Lautstärke (Meckern, Polizei rufen etc.) finden
im Allgemeinen nicht statt.
Manche wissen ja, dass ich
eingefleischte (haha) Vegetarierin bin. Dort bekam ich allerdings doch
ziemlich Appetit auf Hühnersuppe, als die Hähne um drei Uhr morgens zu
krähen begannen.
Dem in Europa so beliebten „Endlich mal Zeit für
sich!“ steht man dort übrigens mit großem Entsetzen gegenüber. Nein,
droht das unvorstellbare Elend am Horizont, „Zeit für sich zu haben“ und
weniger als fünf Personen in ständiger Sicht- und vor allem Hörweite um
sich zu scharen, leuchten sofort alle Alarmknöpfe dunkelrot auf und zur
Not werden per Hilferuf Ersatz-Verwandte herbeigeordert. Ich war
während meiner 4-6-wöchigen Aufenthalte dort auch noch nie (!) allein.
UM GOTTES WILLEN! Wir wollen ja den Teufel nicht an die Wand malen!
In Deutschland ist das natürlich differenzierter. Kinderlärm, Musik,
allgemein menschliche Lebensäußerungen werden als größte Belästigung
betrachtet, während Straßenlärm, Motorengeräusche, Laubbläser, bei denen
ein ganzes Stadtviertel unter akustischen Flammen steht,
Superduper-getunte Rasenmäher ab sieben Uhr morgens als höhere Gewalt
erstaunlich klaglos akzeptiert werden.
Allerdings: Nach sieben
Jahren Schlafentzug ist mir das egal. Schaltet Eure Laubbläser oder
Kreissägen auf höchste Männerstufe, ich kann trotzdem schlafen! Nach
sieben Jahren Kindererziehung habe ich meine Stimme auf ein mächtiges
Volumen trainiert, dass ich bei jeder lateinamerikanischen
Grundsatzdiskussion die Flagge hochhalten kann. Und ich werde es
bestimmt auch bald schaffen, so geduldig und langmütig zu werden wie
eine finnische Fernsehmoderatorin. HERRSCHAFTZEITEN, ICH HABE ES TAUSEND
MAL GESAGT, ES GIBT KEINEN NINTENDO! BASTA, VERFLUCHT NOCH MAL!